Kurz vor Beginn der Wettkämpfe versammelten sich Tausende von Zuschauer aus allen Teilen der antiken Welt in Olympia und verweilten auf den Feldern und unter den Olivenbäumen rund um den Tempel. Sie kamen hauptsächlich aus Griechenland, aber auch aus Ägypten, von Nordafrika, aus den griechischen Kolonien von Marseille in Südfrankreich und Olbia am Schwarzen Meer. Oft kamen sie aus rivalisierenden oder gerade miteinander im Krieg befindlichen Städten, aber die Olympischen Spiele waren so wichtig und prestigeträchtig, dass man eine Gefechtspause einlegte. Diese Vereinbarung war in einen Diskos[5] eingeritzt worden und garantierte den Athleten für drei Monate Immunität.
Die Eintragung für die Spiele erfolgte als Selbstauskunft über Herkunft und Alter, letzteres war wichtig für die Zuordnung zu der entsprechenden Altersgruppe. Beispielsweise wurde 468 v. Chr. Pherias aus Aigina ausgeschlossen, weil er noch zu jung war, aber bei den folgenden Spielen wurde er in die Gruppe der Knaben (paides) aufgenommen und gewann das Pankration. Ebenso mussten die Hellanodikai bei den Tieren zwischen Pferd und Fohlen entscheiden.
Der erste Tag war für ein Reinigungsritual vorgesehen. Die Athleten versammelten sich im Bouleuterion und − während die Priester an der Statue des Zeus ein Opfer darbrachten − schworen Fairness, Disziplin und Beachtung der Regeln. Ein solcher Eid hat sich leicht modifiziert bis in unsere Zeit fortgesetzt. Seit 2017 lautet er:
Im Namen aller Athleten, Kampfrichter, Trainer verspreche ich, dass wir an den Olympischen Spielen teilnehmen und dabei die gültigen Regeln respektieren und diese im Sinne des Fair-Play einhalten. Wir alle verpflichten uns zum Sport ohne Doping und Betrug. Wir tun dies zum Ruhm des Sports, für die Ehre unserer Mannschaften und für die Achtung der grundsätzlichen Prinzipien der Olympischen Bewegung.[6]
Verletzungen der Regeln wurden streng bestraft. Hatten Athleten versucht, durch Bestechung zu gewinnen, wurden sie gezwungen, auf eigene Kosten Statuen des Zeus zu errichten, sog. Zanes.
Die Inschriften auf den Basen besagen, dass man nicht mithilfe von Geld, sondern mit Körperkraft und Schnelligkeit der Füße siegen müsse. So heißt es auch bei Pausanias:
(2) Geht man nämlich den Weg vom Metroon zum Stadion, befinden sich links am Fuß des Berges Kronion […] bronzene Zeusstatuen. Diese wurden gemacht aus den Strafgeldern, die Athleten auferlegt wurden, die sich gegen den Wettkampf vergangen hatten, bei den Einheimischen heißen sie Zanes.
(3) Zuerst stellten sie sechs bei den 98. Olympischen Spielen auf. Denn der Thessaler Eupolos bestach die Faustkämpfer, die gekommen waren, mit Geld, den Arkader Agetor und den Kyzikener Prytanis und mit ihnen Phormion, der aus Halikarnassos stammte und an den Olympischen Spielen vorher gesiegt hatte. Das soll das erste Vergehen von Athleten gegen die Spiele gewesen sein, und als erste wurden Eupolos, und die von Eupolos Geschenke angenommen hatten, von den Eleern mit Geldstrafen belegt. Zwei von ihnen sind Werke des Sikyoniers Kleon; wer die folgenden vier gemacht hat, weiß ich nicht.
(4) Auf diesen Statuen stehen außer bei der dritten und vierten Epigramme. Das erste Epigramm will besagen, daß man einen Sieg in Olympia nicht mit Geld, sondern mit Schnelligkeit der Füße und Körperkraft erringen soll. Das auf der zweiten sagt, daß die Statue zu Ehren der Gottheit dastehe und durch die Gottesfurcht der Eleer zur Abschreckung für frevelnde Athleten. Bei der fünften und sechsten Statue ist der Sinn der Inschrift, bei der einen, daß die Statuen errichtet seien zum Ruhm der Eleer und nicht zum wenigsten zur Strafe für die Faustkämpfer, bei der noch übrigen, daß sie eine Lehre für alle Griechen seien, daß niemand für einen olympischen Sieg Geld geben solle.[7]
Die antiken Griechen waren begeistert von der Schönheit der Körper und vom Wettkampf, den man Agon nannte − was Schmerz, Kampf und Leidenschaft bedeutete − und von dem sich die moderne Bezeichnung Agonie ableitet. Die am meisten mit diesem Begriff verbundene Disziplin war der Faustkampf, der ursprünglich aus der griechischen Welt stammte. Ein erlesenes Fresko aus Santorin aus dem 2. Jt. v. Chr., und damit ungefähr tausend Jahre vor dem Beginn der Olympischen Spiele entstanden, zeigt zwei schlanke Knaben, die mit Boxhandschuhen kämpfen. Diese Disziplin wurde bei den Olympischen Spielen 688 v. Chr. eingeführt und gehörte recht bald zu den vom Publikum bevorzugten Agonen, weil sie unmittelbar die Gefahr und manchmal auch den Tod der Kämpfer mit sich brachten.
Sogar heutige Boxer wären bestürzt über den antiken Faustkampf, der absolut regellos und unfair war: es gab keine Gewichtsklassen, keine Runden mit Erholungspausen, kein Wasser und keine gepolsterten Handschuhe. Die Hände waren nur durch Lederstreifen geschützt. Als ab 146 v. Chr. die Römer an den Olympischen Spielen teilnahmen, wurden in diese Streifen kleine Metallnägel eingefügt, die die Haut des Gegners verletzten, der auch am Kopf getroffen werden konnte. Ein Kampf dauerte solange, bis einer der beiden Kämpfer zusammenbrach.
Die Karrieren der Sportler konnten sehr erfolgreich sein, wegen der häufigen Todesfälle aber auch sehr kurz. Auf jeden Fall war der Tod besser als eine Niederlage, wie es in der Grabinschrift des Faustkämpfers Agathos Daimon aus Alexandria in Ägypten mit dem Beinamen Kamel lautet, der im Kampf gestorben war, nachdem er Zeus gebeten hatte, ihm entweder den Siegeskranz oder den Tod zu gewähren.[8] Eurydamos aus Kyrene im heutigen Libyen zog es vor, lieber die eigenen Zähne zu verschlucken als dem Gegner, der sie ihm ausgeschlagen hatte, Genugtuung zu verschaffen.[9]
Die Athleten wurden für ihre Überlegenheit sehr bewundert, aber auch wegen des Ertragens der Schmerzen. Dieses Verhalten hatte auch einen ideellen Wert, weil sie als soziale Vorbilder betrachtet wurden: Man musste die Fähigkeit beweisen, sehr große Schmerzen trotz Anstrengung, Hitze und Staub zu ertragen.
Wenn ein Wettkampf zu lange dauerte oder eine Pattsituation entstanden war, dann ordneten die Schiedsrichter an, dass die Athleten sich abwechselnd einen Faustschlag geben mussten (wie beim Fußball das Elfmeterschießen). Der Gegner durfte nicht reagieren, d. h. er musste stillhalten und durfte sich auf keine Weise verteidigen. Dies war um 400 v. Chr. bei den Nemeischen Spielen der Fall bei Kreugas aus Epidamnos in Illyrien und Damoxenos aus Syrakus auf Sizilien. Die beiden kämpften lange ohne Entscheidung bis Damoxenos einen Faustschlag in den Bauch des Gegners setzte und dabei den Darm zerriss (ein echter Karateschlag). Aber die Schiedsrichter disqualifizierten ihn und erklärten Kreugas zum Sieger, der jedoch inzwischen gestorben war.[10]
Antike Trainingsmethoden
Auch wenn die Athleten der Antike nicht über so anspruchsvolle Sportgeräte wie die heutigen verfügten, stellten ihre Statuen ebenso perfekte Körper dar wie die modernen Sportler aufweisen. Offensichtlich unterzogen sie sich täglich harten Trainingseinheiten. Beispielsweise übte man für das Krafttraining mit Felsbrocken, wie z. B. demjenigen aus Olympia mit einem Gewicht von ca. 143,5 kg. Auf der darauf befindlichen Inschrift (4. Jh. v. Chr.) steht: „Bybon, Sohn von Phola, hat mich mit einer Hand über seinen Kopf gehoben“.[11]
Für den Weitsprung oder den Wettlauf trainierte man mit halteres aus Stein, die wie Hanteln in der Hand gehalten wurden. Die sog. Bikini-Mädchen auf einem Mosaik in der Villa Romana del Casale bei Piazza Armerina bestätigen den Gebrauch von Hanteln noch in spätrömischer Zeit.
Der Faustkampf war ohne Zweifel die Disziplin, die am häufigsten mit dem Tode endete, aber sie wurde recht bald vom Pankration (seit 648 v. Chr.) übertroffen, einem Ringen mit bloßen Händen, bei dem es lediglich verboten war, zu beißen und die Augen des Gegners einzudrücken. Man kämpfte nackt und oft zerrte man auch an den Genitalien. Wegen dieser Brutalität, der Überraschungen und der infamen Tricks wurde diese Sportart vom Publikum bevorzugt.
Den heutigen Vorstellungen entsprach eher der korrektere Ringkampf, auch wenn Würgegriffe sowie das Brechen der Finger und Knie erlaubt waren. Der „Ring“ war im Inneren des Stadions eingerichtet. Es gab zwei Arten des Ringkampfes, im Stand und am Boden. Es siegte derjenige, der zuerst dreimal seinen Gegner zu Boden geworfen hatte. Im 5. Jh. v. Chr. wurde das Fingerbrechen verboten, was jedoch ignoriert wurde. Wir wissen von Leontiskos aus Sizilien, dass er zwei Kämpfe nacheinander gewann, gerade deshalb, weil er dem Gegner die Finger gebrochen hatte.[12]
Die gefährlichsten Sportarten aber waren die Wagenrennen mit den Zwei- und Viergespannen im Hippodrom. Diese Sportstätte wurde durch Hochwasser des Alpheios um 600 v. Chr. überschwemmt und ist heute unter einem dichten Olivenhain verborgen. Die riskantesten Stellen des Rennens waren die Kurven, die die Wagen zwangen, bei hoher Geschwindigkeit um 180° zu wenden. Dies hatte Zusammenstöße sowie Stürze zur Folge: Die Wagen zerbrachen, die Wagenlenker stürzten aus dem Wagenkasten und die Pferde fielen übereinander, wie es in den Filmen Ben Hur (1959) oder Gladiator (2000) dargestellt wurde. Nach Pindar verunglückten bei einem Wettkampf 40 Konkurrenten und der Sieger erreichte allein das Ziel.[13]
Im Hippodrom erhob sich der Altar des Gottes Taraxippos (bzw. Poseidon Hippios), des Schutzherrn der Pferde, dem man vor den Rennen Gaben brachte, damit die Pferde nicht erschrecken. Mit einem komplizierten Mechanismus wurden Fehlstarts verhindert. Dieser wurde von dem Athener Bildhauer Kleoitas erfunden und in der Folge von Aristeides verbessert.[14] Wenn der Mechanismus betätigt wurde, flog gleichzeitig der Adler von einem Altar in die Höhe und ein bronzener Delphin fiel von der Bronzestange. Dadurch senkten sich die Sperrseile in zeitlichen Abständen, so dass die Wagen auf den Außenbahnen früher starten konnten und nicht gegenüber denen der Innenbahnen benachteiligt wurden.
Die schönste erhaltene Statue eines Wagenlenkers steht in Delphi, gewidmet nach einem Sieg bei den Pythischen Spielen, die ebenso bedeutend waren wie die Olympischen. Sieger waren aber nicht die Wagenlenker und die Jockeys, sondern wie heute auch die Besitzer des Rennstalls. So konnten die Frauen, die nicht zu den Agonen zugelassen waren, zumindest als Eigentümer der Pferde teilnehmen. Kyniska aus Sparta (aus königlichem Haus) wurde als erster Frau der Sieg in einem Wagenrennen bei den Olympischen Spielen 396 v. Chr. zuerkannt, nachdem sie selbst ihre Pferde zugeritten hatte. Die Resonanz auf ihren Sieg war so groß, dass ihr damals in Olympia zwei Statuen gewidmet wurden, hergestellt vom Bildhauer Apelleas, und in Sparta ein Heroon zu ihren Ehren geweiht wurde. Kyniska nahm auch an den Spielen 392 v. Chr. teil und siegte noch einmal.[15]
In einer Inschrift in Olympia erinnert sie sich voller Stolz[16]:
Könige Spartas sind mir Väter und Brüder. Als Siegerin mit dem Gespann der schnellfüßigen Pferde hat Kyniska dieses Bildwerk aufgestellt. Und ich erkläre: der Frauen einzige aus ganz Hellas bin ich, die diesen Kranz errungen.
Es gab aber auch Galopprennen. Junge Jockeys saßen ohne Sattel auf den Pferden oder Fohlen, die sie nur mit den Zügeln, mit der Reitpeitsche und ihren schmächtigen Knien führten. Im Jahre 512 v. Chr. warf das Pferd Aura den eigenen Jockey ab und kam als Siegerin ins Ziel.