Eine antike Baustelle in Pompeji

Die laufenden Ausgrabungen im Archäologischen Park von Pompeji bringen neue Erkenntnisse über das römische Bauwesen ans Licht. In den Räumen der antiken Domus, die die archäologischen Ausgrabungen in Regio IX, Insula 10, ans Tageslicht bringen, sind wichtige Zeugnisse einer in voller Aktivität befindlichen Baustelle wieder aufgetaucht. Es handelt sich um Arbeitswerkzeuge, aufgeschichtete Tuffsteinfliesen und -ziegel sowie Kalkhaufen.

Antike Baustelle in Pompeji

Baustelle in der Bäckerei von Rustio Vero

Nach Ansicht von Wissenschaftlern war die Baustelle bis zum Tag des Ausbruchs des Vesuvs im Jahr 79 n. Chr. aktiv, der um die Mittagszeit begann und bis zum Morgen des folgenden Tages dauerte. Die Ausgrabungen in dem betreffenden Gebiet belegen das Vorhandensein einer antiken Baustelle, die den gesamten Block betraf. Besonders zahlreich sind die Hinweise auf laufende Arbeiten im Haus mit der Bäckerei von Rustio Vero. Dort haben die Forscher in den letzten Monaten bereits ein Stillleben mit einer Focaccia und einem Weinkelch dokumentiert.

Das Atrium wurde teilweise freigelegt, Materialien für die Renovierung wurden auf dem Boden aufgeschichtet. An einer Tür des Tablinum (Empfangsraum), die im IV. pompejanischen Stil mit einem mythologischen Gemälde von „Achilles auf Syros“ verziert ist, kann man noch lesen, was wahrscheinlich die Zählungen auf der Baustelle waren. In römischen Ziffern, mit Holzkohle geschrieben, waren sie im Gegensatz zu den in den Putz eingravierten Graffiti leicht zu löschen.

Notizen auf der Baustelle in Pompeji

Spuren der laufenden Arbeiten finden sich auch in dem Raum, in dem das Lararium untergebracht war. Dort hat man Amphoren gefunden, die zum „Löschen“ des für die Verputzarbeiten verwendeten Kalks dienten. In mehreren Räumen des Hauses hat man Baustellenwerkzeuge entdeckt. Von Bleigewichten zum Hochziehen einer perfekt senkrechten Wand („Lot“) bis hin zu Eisenhacken, die man zur Vorbereitung des Mörtels und zur Verarbeitung des Kalks verwendet hat. Im Nachbarhaus, das durch eine Innentür zugänglich ist, und in einer großen Wohnung hinter den beiden Häusern, die bisher nur teilweise untersucht wurde, gab es ebenfalls Hinweise auf eine große Baustelle. Diese ist auch durch die riesigen Steinhaufen für den Wiederaufbau der Mauern und die gesammelten Amphoren, Töpferwaren und Kacheln für die Herstellung von Steingut belegt.

Arbeitsutensilien auf der antiken Baustelle in Pompeji

Bei der Analyse von Materialien und Bautechniken wurde der Archäologische Park von Pompeji von einem Expertenteam des Massachusetts Institute of Technology, USA, unterstützt. Die vom Team aufgestellte Hypothese ist die einer Heißmischung, d. h. einer Mischung bei hohen Temperaturen, bei der Branntkalk (und nicht gelöschter Kalk) mit trockenem Puzzolan vorgemischt und anschließend hydratisiert und beim Bau des opus caementicium verwendet wird.

Neue Erkenntnisse zur Verwendung von Branntkalk

Normalerweise wird Branntkalk lange vor der Verwendung auf der Baustelle mit Wasser vermengt, d. h. „gelöscht“, wodurch der so genannte gelöschte Kalk entsteht, ein Material mit einer plastischen Konsistenz. Beim „Löschen“, d. h. bei der Reaktion zwischen Branntkalk und Wasser, entsteht Wärme. Erst zum Zeitpunkt des Einbaus wird der Kalk dann mit Sand und inerten Stoffen zum Mörtel oder Zement vermischt.

Im Falle der Baustelle in Pompeji hingegen scheint Branntkalk, der noch nicht mit Wasser in Berührung gekommen war, zunächst nur mit puzzolanischem Sand vermischt worden zu sein. Der Kontakt mit Wasser fand erst kurz vor der Errichtung der Mauer statt. Dies bedeutete, dass das Gemisch aus Kalk, puzzolanischem Sand und Stein während der Errichtung der Mauer aufgrund der stattfindenden thermischen Reaktion noch warm war. Er trocknete folglich schneller, was die Bauzeit verkürzte. Im Gegensatz dazu wurde beim Verputzen der Wände der Kalk anscheinend zuerst gelöscht und dann mit inerten Stoffen vermischt, wie es auch heute noch üblich ist.

Von den alten Römern lernen

„Es ist ein weiteres Beispiel dafür, wie die kleine Stadt Pompeji uns so viele Dinge über das große Römische Reich näher bringt, nicht zuletzt die Verwendung von Zement. Ohne Zement gäbe es weder das Kolosseum, noch das Pantheon, noch die Caracalla-Thermen. Die derzeitigen Ausgrabungen in Pompeji bieten die Möglichkeit, die Funktionsweise einer antiken Baustelle fast live zu beobachten“, betont Parkdirektor Gabriel Zuchtriegel:

„Die sich abzeichnenden Daten scheinen auf die Verwendung von Branntkalk in der Bauphase der Mauern hinzuweisen. Dies ist eine Praxis, die bereits in der Vergangenheit vermutet wurde und die die Zeit eines Neubaus, aber auch der Renovierung von Gebäuden, die beispielsweise durch ein Erdbeben beschädigt wurden, erheblich beschleunigen konnte. Dies scheint in Pompeji weit verbreitet gewesen zu sein, denn fast überall wurde gebaut, so dass es wahrscheinlich ist, dass es nach dem großen Erdbeben von 62 n. Chr., siebzehn Jahre vor dem Ausbruch, weitere seismische Erschütterungen gab, die die Stadt vor der Katastrophe von 79 n. Chr. heimsuchten. Jetzt vernetzen wir Forschungseinrichtungen, um das Bauwissen der alten Römer zu erforschen. Vielleicht können wir von ihnen lernen, über Nachhaltigkeit und die Wiederverwendung von Materialien nachdenken“.

Meldung und Fotos von pompeiisites

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