2,5 Millionen Euro für Kieler Archäologin Annette Haug

Wie wirken Bilder? Warum schauen wir sie an? Welche Haltung haben wir gegenüber einem Bild? Professorin Annette Haug wird diesen Fragen nachgehen. Als erste Wissenschaftlerin der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) hat sie einen ERC Advanced Grant eingeworben. Damit fördert der Europäische Forschungsrat (European Research Council, ERC) erfahrene Spitzenforscherinnen und Spitzenforscher mit außergewöhnlichen Projekten, die bahnbrechende Erkenntnisse versprechen. „Das ist ein großer Meilenstein für die CAU und meine Forschung“, sagt die Archäologin. Für ihr Projekt „Fragile Bilder“ erhält sie insgesamt 2,5 Millionen Euro für fünf Jahre. Start ist voraussichtlich Anfang 2025.  

Die Direktorin der Antikensammlung, die zudem Vorstandsmitglied des Exzellenzclusters ROOTS ist, erhält bereits die zweite EU-Förderung. Mit einem ERC Consolidator Grant hat sie von 2016 bis 2022 zu Architektur und Design in der römischen Antike geforscht. Nun möchte sie das Feld der Bilder erobern und freut sich sehr darauf: „Für den Förderantrag habe ich viel gelesen und für mich eine neue Welt erschlossen. Das jetzt realisieren zu können, ist ein Traum.“ Die Idee und das Konzept haben den Europäischen Forschungsrat überzeugt. Damit gehört Haug zu den knapp 14 Prozent der Bewerberinnen und Bewerber, die einen Zuschlag gekommen haben. Insgesamt fördert der Forschungsrat 255 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit dem ERC Advanced Grant 2023. In Deutschland sind es 50 Forschende, davon acht aus den Sozial- und Geisteswissenschaften. Die Förderung ist Teil des EU-Programms „Horizon Europe“ für Forschung und Innovation.

Prof. Annette Haug
Prof. Annette Haug © Raissa Nickel, Uni Kiel

Die Frage der Macht: Wie Bilder und Betrachtende aufeinander einwirken

Mit einem Team aus drei Promovierenden und drei Postdocs will Annette Haug mit der weit verbreiteten Annahme aufräumen, dass Bilder grundsätzlich Macht ausüben. „Das ist aus meiner Sicht zu einseitig“, betont die Wissenschaftlerin. „Wir werden die Betrachtenden und ihre Interessen mit in die Bildanalyse einbeziehen. Was interessiert eine Person an einem Bild: Ist es die Ästhetik, die Form, der Inhalt oder vielleicht gar nichts? Und was macht die Person dann mit dem Bild: ignorieren, umgestalten oder gar zerstören?“ Ihre Forschung konzentriert sich auf Bilder der römischen Antike, also etwa Wandmalereien, Reliefs auf Keramik oder Architektur, in Stoffen eingewebte Bilder und Statuen. Der Untersuchungszeitraum reicht von der römischen Republik im 2. Jahrhundert v. Chr. bis in die Spätantike im 4. Jahrhundert n. Chr. In dieser Zeit haben sich wandelnde Interessen und Geschmäcker sowie unterschiedliche politische, kulturelle und religiöse Einflüsse die Bildkultur im Römischen Reich stark geprägt und verändert.

Daher werden die Forschenden ausgehend von Italien Wandmalereien, Götterstatuen und Naturbilder untersuchen. Im Zentrum steht ihre Fragilität: So wurden Bilder über die Zeit etwa aufgrund gesellschaftlicher Umbrüche verändert oder gar zerstört wie manche Kaiserstatuen. Zudem haben Betrachtende je nach eigenem Interesse und ihren Lebensumständen Bildern mehrere Bedeutungen zugewiesen. Andere Bilder wiederum thematisieren ihre eigene Bildlichkeit – indem sie etwa ihre Bildgrenzen überschreiten. Annette Haug erläutert: „Das mag abstrakt erscheinen. Unsere Forschung lässt sich aber auch grundsätzlich verstehen, denn wir erkunden, wie Bilder und Betrachtende wechselseitig aufeinander einwirken. Übertragen auf unsere Zeit könnten wir uns etwa fragen: Warum sehe ich mir brutale Kriegsbilder an? Faszinieren sie mich, schrecken sie mich ab oder nutze ich sie zur Information? Ich reflektiere also, was meine Haltung gegenüber einem Bild ist und was ich mit ihm mache – aber auch, warum und wie mich Bilder in ihren Bann ziehen.“ 

Aus Sicht der Archäologie geht es Annette Haug darum, ein neues Narrativ für die Kultur der römischen Antike zu formulieren: „Nicht nur die starken Bilder erzählen uns etwas, sondern auch die mit einem fragilen Moment.“ Wenn man Bild und Betrachtende stärker aufeinander bezieht, ergibt sich ein anderes, neues Verständnis der römischen Bildkultur.

Meldung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel