Bastfasern zur Herstellung von Textilien verwendet

Woraus stellten die Menschen in der Jungsteinzeit Kleidung her? Ҫatalhöyük, die größte bekannte Steinzeitsiedlung der Welt, gibt uns nach 60 Jahren Debatte Antworten.

Steinzeitstädte klingen wie ein Widerspruch in sich. Doch in Ҫatalhöyükin in der Türkei lebten vor etwa 8000−9000 Jahren bis zu 10.000 Menschen. Damit ist es die größte bekannte Siedlung aus der Zeit, die Archäologen als Neolithikum und Chalkolithikum bezeichnen.

Detailaufnahme des gewebten Textils aus Bastfasern. Die Fasern sind dunkel verfärbt, deutlich ist aber noch die gewebte, grobe Struktur zu erkennen.
Nahaufnahme eines untersuchten Textils (Foto: Antoinette Rast-Eicher, Universität Bern).

„Ҫatalhöyük ist eine der bekanntesten archäologischen Stätten“, sagt Lise Bender Jørgensen. Sie ist Archäologin und emeritierte Professorin am Fachbereich für Geschichts- und Altertumswissenschaften der NTNU und hat dazu beigetragen, den Stoff zu bestimmen, aus dem die Menschen in der antiken Stadt ihre Kleidung webten. Bender Jørgensen ist eine Spezialistin für archäologische Textilien, so dass es nicht verwunderlich ist, dass sie an dieser Arbeit mitgewirkt hat.

Seit fast 60 Jahren in der Diskussion

Seit 1962, als die ersten Stoffstücke in Ҫatalhöyük gefunden wurden, diskutieren Experten darüber, welche Art von Kleidung die Menschen dort trugen. Einige Spezialisten glaubten, dass die Menschen ihre Kleidung aus Wolle herstellten. Andere meinten, sie hätten sie stattdessen aus Leinen hergestellt. Wer hat nun recht? Nach fast 60 Jahren kennen wir nun die Antwort.

„Weder noch“, sagen Bender Jørgensen und ihre Kollegen. Jetzt haben sie ihre Ergebnisse in Antiquity, einer führenden archäologischen Fachzeitschrift, vorgestellt.

Ausgegrabene Textilien aus der Steinzeit

Einer der weltweit führenden Archäologen, Professor Ian Hodder von der Stanford University, führte zwischen 1993 und 2017 neue Ausgrabungen durch. Sie erbrachten eine große Menge neuer Daten und haben uns ein völlig neues Verständnis der Stätte vermittelt.

Bei den Funden von Hodder und seinen Kollegen wurden mehrere Stoffstücke ausgegraben, die, wie sich später herausstellte, zwischen 8500 und 8700 Jahre alt sind. „Als Hodder bei seinen Ausgrabungen Textilien entdeckte, lud er mich ein, sie zusammen mit meiner Schweizer Kollegin Antoinette Rast-Eicher zu untersuchen“, sagt Bender Jørgensen.

Rast-Eicher, die an der Universität Bern tätig ist, hat sich auf die Identifizierung von Textilfasern spezialisiert. Sie hat Erfahrung mit einigen der ältesten europäischen Textilien, die in Alpenseen gefunden wurden. Die beiden Forscher haben in den letzten Jahren in mehreren Projekten zusammengearbeitet, unter anderem unter der Schirmherrschaft des NTNU.

Im August 2017 reisten sie gemeinsam nach Ҫatalhöyük und untersuchten die Textilien, die die Archäologen der Gruppe rund um Hodder gefunden hatten. Dabei arbeiteten sie auch mit der Postdoc-Stipendiatin und Archäobotanikerin Sabine Karg von der Freien Universität Berlin zusammen. Diese Gruppe von Spezialisten fand klare Antworten.

Ein vernachlässigtes altes Material

„In der Vergangenheit haben die Forscher die Möglichkeit, dass es sich bei den Stofffasern um etwas anderes als Wolle oder Leinen handeln könnte, weitgehend vernachlässigt, aber in letzter Zeit hat ein anderes Material mehr Aufmerksamkeit erhalten“, sagt Bender Jørgensen.

Die Menschen in Ҫatalhöyük benutzten verschiedene Varianten genau dieses Materials. „Bastfasern wurden Jahrtausende lang zur Herstellung von Seilen, Fäden und damit auch von Garn und Stoffen verwendet“, sagt Bender Jørgensen.

Eine Faserprobe aus einem Korb entpuppte sich als Gras, aber mehrere der Textilien sind eindeutig aus Bastfasern von Eichen hergestellt. Sie sind außerdem die ältesten erhaltenen gewebten Stoffe der Welt. Bastfasern finden sich zwischen der Rinde und dem Holz von Bäumen wie Weide, Eiche oder Linde. Die Menschen von Ҫatalhöyük verwendeten Eichenrinde und fertigten ihre Kleidung aus der Rinde von Bäumen, die sie in ihrer Umgebung fanden. Sie verwendeten auch Eichenholz als Baumaterial für ihre Häuser, und zweifellos ernteten die Menschen die Bastfasern, wenn die Bäume gefällt wurden.

Sie bauten keinen Flachs an

Die Schlussfolgerungen der Experten decken sich auch mit einem weiteren auffälligen Punkt: In der Region wurden keine großen Mengen an Leinsamen gefunden. Die Menschen in Ҫatalhöyük scheinen keinen Flachs angebaut zu haben.

Bender Jørgensen merkt an, dass viele Menschen Bastfasern als frühes Material oft übersehen. „Die Diskussion über die von den Menschen verwendeten Stofffasern wird meist von Leinen dominiert“, sagt sie.

Wie sich herausstellte, importierten die Menschen in diesem Gebiet kein Leinen von anderswo, wie viele Forscher bisher angenommen hatten, sondern nutzten die Ressourcen, zu denen sie reichlich Zugang hatten.

Nach einer Pressemeldung der NTNU – NORWEGIAN UNIVERSITY OF SCIENCE AND TECHNOLOGY

Referenz:
Antoinette Rast-Eicher et.al: The use of local fibres for textiles at Neolithic Çatalhöyük. Antiquity, 2021.

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