Frankensilber im Prußenland

Foto: Museum Osterode i. Ostpr. / Muzeum w Ostródzie

Ein Schatzfund aus Ostpreußen verweist auf die Belagerung von Paris

Von Thomas W. Wyrwoll

Beim kleinen Ort Bischofsburg im ostpreußischen Ermland, polnisch „Biskupiec“ oder inoffiziell „Biskupiec Reszelski“ genannt, wurde jüngst ein gewaltiger karolingischer Silberschatz entdeckt, der allem Anschein nach Zeugnis eines zentralen Wendepunktes der europäischen Geschichte ist. Seine Finder, Mitglieder des polnischen Sondengänger-Vereins „Gryf“, waren glücklicherweise nicht wie manche ihrer Kollegen auf eigene Bereicherung aus, sondern standen bereits vorab mit den örtlichen Denkmalschutzbehörden in Verbindung, denen sie dann auch die fachgerechte Bergung des Horts überließen.

Dessen Inhalt sucht gerade außerhalb des Frankenreichs seinesgleichen: 118 Münzen finden sich hier in einem einzigen Fundzusammenhang miteinander vereint, während bisher im gesamten Raum des heutigen Polens überhaupt nur drei Münzen dieser Herkunft aufgetaucht waren. Alle drei Altstücke stammten aus dem nahegelegenen Truso, einer prußischen Handelsstadt an der Nogat bzw. am Frischen Haff, die seinerzeit ein internationales Zentrum des Bernstein-, Fell- und Sklavenhandels bildete, in dem die örtlichen Balten einen intensiven Austausch vor allem mit verschiedenen teils hier ansässigen Wikingern pflegten. Dieser Kontext legt nahe, dass auch die Münzen des neuen Horts einst von Nordleuten in die Region verbracht worden sind: Die Prußen selbst verwendeten wie alle Völker „östlich der Elbe“ für ihre Geschäfte damals weitgehend Hacksilber, das aus arabischen Dirhams gewonnen wurde, während die Wikinger zudem bereits über vereinzelte „Finanzkontakte“ ins damalige Europa verfügten.

Frankensilber im Prußenland
Foto: Museum Osterode i. Ostpr. / Muzeum w Ostródzie

117 der neugefundenen Münzen stammen aus der Regierungszeit Ludwigs des Frommen, eines Sohns Karls des Großen, der als gesamtfränkischer König ab 813 und als Kaiser von 814 bis zu seinem Tod 840 herrschte. Die einzige jüngere Münze datiert in die Zeit seines Sohnes Karls des Kahlen, der ab 843 als westfränkischer König sowie ab 875 als Kaiser regierte und 877 starb. Dieser zeitliche Ansatz der Stücke lässt bei näherer Betrachtung vermuten, dass sie aus dem sog. Tribut im Ergebnis der Belagerung von Paris stammen, welche sich über fast ein Jahr hinweg von November 885 bis Oktober 886 hingezogen hatte. Das Fränkische Reich war damals durch Teilungen und Erbstreitigkeiten unter den Nachkommen Karls des Großen massiv geschwächt, was von den Skandinaviern als Einladung zu andauernden Raubzügen angesehen wurde.

Der größte dieser Angriffe war eben jener auf Paris, bei dem laut Schriftquellen ein dänisches Heer von 30.000 Mann nur 200 fränkischen Adelskriegern mit ihrem Gefolge gegenüberstand, welche die Stadt verteidigten – Kaiser Karl III., der zuvor für eine gewisse Konsolidierung gesorgt hatte, befand sich gerade auf einem Feldzug in Italien. Trotz ihrer gewaltigen Übermacht und des Ausbruchs einer Seuche unter den Belagerten gelang es den Wikingern nicht, die damals noch auf die kleine Île de la Cité beschränkte spätere Metropole Frankreichs einzunehmen. Das Glück schien den Angreifern wahrlich nicht hold zu sein: Nachdem sich zunächst ein erster Teil der längst demoralisierten Nordmänner nach Zahlung eines Tributs von rund 30 kg Silber zurückgezogen hatte, wurde schließlich sogar das Hauptheer der Belagerer vom zurückgekehrten Karl eingeschlossen.

Statt allerdings die Feinde niederzumachen, was ihm militärisch ohne Probleme möglich gewesen wäre, ließ der Herrscher diese nach Verhandlungen und sogar noch unter Dreingabe eines Tributs von deutlich über 300 kg Silber abziehen. Tatsächlich dürfte dieses Vorgehen einem strategischen Plan entsprochen haben: Da der Kaiser den Wikingern absprachewidrig die Rückfahrt über die Seine sperren ließ, mussten die Invasoren den Weg nach Osten über die Marne einschlagen, was sie in das gerade im Aufstand gegen Karl befindliche Kulturland Burgund lenkte, wo sich in der Folge Räuber und Rebellen wechselseitig dezimierten. Von vielen Zeitgenossen wurde dieses Vorgehen freilich als Verrat an den Verteidigern und am eigenen Volk angesehen, so dass Arnolf von Kärnten seinen Verwandten Karl unmittelbar danach vom Thron verdrängen und in die Verbannung schicken konnte. Nicht zuletzt das hier erstmals in großem Umfang und später immer wieder aufscheinende Paktieren der Karolinger mit ausländischen Feinden gegen die eigene Bevölkerung dürfte die Stellung der Dynastie entscheidend geschwächt und so die Grundlagen für ihren Niedergang gelegt haben.

Die nach dem Kampf um Paris im Land verbliebenen dänischen „Sieger“ unterwarfen sich rasch den nachfolgenden Regenten und traten zum Christentum über. Weitere Verwandte machten sich nachher kaum mehr auf den Weg ins westfränkische Binnenland, sondern hielten sich bald schon viel lieber am Silber der Angelsachsen schadlos, das weit leichter zu erpressen war. Das Silber von Paris jedoch gelangte allem Anschein nach zumindest zu einem Teil in Richtung Ostsee, wo Truso mit hoher Sicherheit der Bestimmungs- oder aber der Erwerbsort der jetzt gefundenen Münzen gewesen sein dürfte. Ihr recht einheitlicher zeitlicher Ansatz sowie ihre augenscheinlich weithin gute Erhaltung sprechen gegen einen nennenswerten Umlauf als Zahlungsmittel und für eine gemeinsame Einlagerung wohl schon im Frankenreich, was am ehesten auf eine Herkunft aus einer Schatzkammer der fränkischen Herrscher hindeutet. Ein in den Norden gelangter Verbund solcher Stücke in einem derart erheblichen Umfang wie dem jetzt im Ermland gefundenen dürfte wiederum am wahrscheinlichsten mit dem Pariser „Tribut“ in Verbindung zu bringen sein, so dass wir den ostpreußischen Fund mit einiger Sicherheit als Zeugnis eben dieses historischen Geschehnisses auffassen können.

Mit der damals wohl erstmals im Rahmen eines singulären Ereignisses in einem solchen Umfang in den Norden gelangten Menge an Silber, welche den nachfolgenden skandinavischen Hunger nach jenem Edelmetall maßgeblich entfacht haben dürfte und der in der Folge ein um Dimensionen größerer Nachschub an entsprechendem Raubgut aus anderen Quellen folgen sollte, begann jenes oftmals so bezeichnete „Silber-Zeitalter“ in der Geschichte Skandinaviens, dessen Benennung geradezu zu einem Synonym für die gesamte Wikingerzeit geworden ist.


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