TT Die Neohithiter

Geschichte der Neohethitischen Fürstentümer

Luwier und Aramäer zwischen Erbe, Innovation und Anpassung

Einführung in das Heftthema der ANTIKE WELT 2/23

Textauszug des Beitrags von Mirko Novák; Titelbild: Neohethitische Ruinen am Fuß der Zitadelle von Karkamiš, im Hintergrund die Eisenbahnbrücke der Baghdad-Bahn über den Euphrat.© Mirko Novák.

Das Ende der Bronzezeit führte in der Levante und in Anatolien zur Entstehung eines Kulturraumes, der wegen des anfangs prägenden hethitischen Erbes als der «neohethitische» bezeichnet wird. Politisch fragmentiert und ethnisch heterogen zeigte er einige Gemeinsamkeiten und eine weitgehend einheitliche Entwicklung von der Kreation eigener künstlerischer Ausdrucksweisen bis zur Adaption assyrischer Vorbilder, die der zunehmenden Abhängigkeit der Fürstentümer vom Assyrischen Reich geschuldet war.

Aus historischer Perspektive kam die Katastrophe plötzlich und global: Nach 120 Jahren der Stabilität und Prosperität bei einem «Gleichgewicht der Kräfte» der damaligen Großmächte Babylonien, Assyrien, Elam, dem hethitischen Großreich, dem Neuen Reich Ägyptens und dem mykenischen Griechenland kam es um das Jahr 1200 v. Chr. allerorts zu Aufständen, (Bürger-)Kriegen, Brandschatzungen und Migrationen. Die Wirren fanden ihren Nachhall in Mythen wie der Ilias und der Odyssee oder dem biblischen Exodus der Hebräer und ihrer Landnahme in Kanaan.

Die Desintegration der Reiche führte zur Deurbanisation weiter Landstriche, insbesondere des anatolischen Kerngebietes des Hethiterreiches, und zu einer Neukonfiguration der semitischen Bevölkerung der Levante infolge von Ethnogenesen. Diese dramatischen Umwälzungen definieren in der Forschung das Ende der Bronze- und den Übergang zur Eisenzeit. Auch wenn bei näherem Hinsehen deutlich wird, dass diese Ereignisse keineswegs unvermittelt eintraten und die Zäsuren oft nicht ganz so tiefgreifend waren wie lange angenommen, lässt sich doch nicht leugnen, dass sich nicht nur die politische Landschaft Vorderasiens veränderte, sondern auch die linguistische und kulturelle (Abb. 1).

Abb. 1 Karte der luwisch-aramäischen Fürstentümer um 900 v. Chr., die die „neohethitische“ Kultur trugen. © Mirko Novák, Institut für Archäologische Wissenschaften, Universität Bern.

In Südanatolien und der Nordlevante bildeten sich kleine, miteinander rivalisierende, sprachlich heterogene Fürstentümer heraus. Ihre Kultur war maßgeblich von derjenigen der hethitischen Großreichszeit beeinflusst. Sie wird daher unabhängig von der ethnischen Zugehörigkeit ihrer Träger als die «spät-» oder «neohethitische» bezeichnet.

Die Erben des Großreiches und ihre Herkunft

Bereits vor seinem Kollaps gab es innerhalb des Hethiterreiches eine Migration anatolischer Eliten in die levantinischen Provinzen. So wurden in Karkamiš am Euphrat und in Aleppo Ableger des hethitischen Königshauses etabliert. Dennoch blieb der kulturelle Einfluss der Hethiter auf die Levante bis 1200 v. Chr. verhältnismäßig gering. Dies änderte sich erst nach dem Ende des Großreiches, möglicherweise als Folge eines verstärkten Zuzuges von Flüchtlingen aus dem sich entvölkernden Zentralanatolien.

Die Herrscher von Karkamiš und die des südanatolischen Tabal nahmen den Titel eines «Großkönigs» an. Erstere setzten ihrerseits eine eigene Sekundogenitur in Melid (Malatya) am oberen Euphrat ein. Die dortigen Fürsten führten den Titel «Landesherr», der ab ca. 1000 v. Chr. auch für ein hohes Amt in Karkamiš selbst bezeugt ist. Dieses wurde erstmalig an Suḫi I., einen Verwandten des damals regierenden Großkönigs Ura-Tarḫunza, vergeben und dann an seine Nachkommen weitervererbt. Dadurch existierten zwei dynastisch organisierte Ämter parallel zueinander: Großkönig und Landesherr.

Zwischen beiden Familien kam es zunächst zu gegenseitigen Vermählungen, doch schon etwa 100 Jahre nach Suḫi I. erstritt sich einer seiner Nachkommen, Katuwa, gegen die Enkel des Ura-Tarḫunzas die faktische Macht. Von diesem Zeitpunkt an herrschten die «Landesherren» alleine über die Stadt. Karkamiš wurde vermutlich bis zu seiner Eroberung durch die Assyrer von Herrschern regiert, die ihre Abstammung in direkter Linie auf die spätbronzezeitlichen Großkönige von Ḫattuša zurückführen konnten. Aus diesem Umstand heraus erklärt sich, dass sowohl in Karkamiš als auch in Melid alle Monumentalinschriften in luwischen Hieroglyphen geschrieben und die Darstellungen von Göttern und Herrschern im hohen Maße der hethitischen Bildtradition verpflichtet waren (Titelbild). Die Vermittlung hethitischer Bildtraditionen erfolgte zudem durch einige bedeutende, reich dekorierte Tempel aus Großreichszeit, so in Aleppo und im benachbarten Ain Dara.

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Während in Südanatolien die luwische Sprachgruppe die Mehrheit gestellt haben dürfte, war sie in den Gebieten der Nordlevante vermutlich stets eine Minorität. Dennoch fällt auf, dass zu Beginn der Eisenzeit manche Dynastie die luwische Sprache annahm. Selbst dann, wenn sie nicht anatolischer Abstammung war. Ein Beispiel dafür bietet das Fürstentum Palastin im Amuq-Gebiet westlich von Aleppo, das wohl, wie einige andere an den Küsten Südanatoliens und der Levante gelegene, durch Einwanderer aus der Ägäis gegründet wurde. Die Könige Palastins trugen hethitische Namen, die von ihnen in Auftrag gegebene Kunst folgte den Vorbildern ihrer hethitischstämmigen Nachbarn und ihre Inschriften wurden auf Luwisch in Hieroglyphen verfasst. Dies bezeugt ihre weitreichende Akkulturation an ein hethitisch geprägtes Umfeld.

Während der Bronzezeit sprach die Mehrheit der Bevölkerung der Nordlevante semitische Sprachen. Daran änderte sich auch nach 1200 v. Chr. wenig. Sowohl das Phönizische als auch das Aramäische der Eisenzeit sind eng mit den bronzezeitlichen kanaanäischen Dialekten verwandt. Sie dürften also aus diesen hervorgegangen sein. Während es sich bei den Phöniziern um die Nachkommen der alteingesessenen sesshaften Bewohner der Küstenebenen des Libanon handelte, scheinen erhebliche Teile der semitisch-sprachigen Population der binnenländischen Gebiete in den ersten zwei Jahrhunderten der Eisenzeit die Städte verlassen und eine überwiegend nomadische oder rurale Lebensweise geführt zu haben. In dieser Zeit erfolgte ihre Ethnogenese als Aramäer.

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Antike Welt 223 Neohethiter

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