Relief eines mysteriösen Reiters freigelegt

Archäologen suchen nach Hinweisen zur Identifizierung eines mysteriösen Reiters auf einem geschnitzten Relief, das im römischen Vindolanda am Hadrianswall entdeckt wurde. 

Ein wunderschön geschnitztes Sandsteinrelief, das eine nackte männliche Figur zeigt, die einen Speer hält und vor einem Pferd/Esel steht, wurde bei den jährlichen Ausgrabungen im römischen Kastell von Vindolanda in der Nähe des Hadrianswalls in Northumberland freigelegt. Der komplette Stein mit den Maßen 160 mm mal 315 mm wäre vermutlich in einer Nische platziert worden.

Nahaufnahme:
Das Relief läuft oben spitz zusammen und ähnelt in der Form einem Spitzbogen-Fenster. Die nackte, männliche Person nimmt fast die gesamte Höhe des Reliefs ein und steht auf einem fingerbreiten Sockel. In der linken Hand hält sie einen Speer und auf dem Kopf trägt sie einen Helm. Kopf und Oberkörper sind frontal ausgerichtet, die Beine sind im Halbprofil dargestellt. Hinter der Person steht ein Pferd/Esel. Das Tier im Profil dargestellt und kleiner als der Reiter (die Ohren des Tieres reichen bis zu dessen Schulter). Während der Körper sich nach links zu bewegen scheint, hat das Reittier den Kopf auf die rechte Seite geworfen und scheint vom Reiter festgehalten zu werden.
Das Relief kann im Museum von Vindolanda besichtigt werden (Foto: Vindolanda Charitable Trust).

Der Stein wurde am 20. Mai nur wenige Zentimeter unter dem Mutterboden von zwei freiwilligen Grabungshelfern aus Newcastle freigelegt, die beide seit über 15 Jahren jährlich zu den Ausgrabungen pilgern. Richie Milor und David Goldwater waren damit beauftragt worden, einen gefliesten Boden in einem Gebäude aus dem 4. Jh. n. Chr. freizulegen. Sie erkannten schnell, dass der zerklüftete Stein, der mit dem Gesicht nach oben zwischen den größeren glatten Platten lag, etwas Besonderes war. David bemerkte: „Ich sah zuerst ein Pferdebein und dann die Spitze des Reliefs“. Richie sagte: „Wir sind einfach absolut begeistert und sehr stolz, Teil dieser Entdeckung zu sein. Es war wirklich sehr emotional. Egal, ob man etwas findet oder nicht, wir lieben es, zu dieser Stätte zu kommen und unseren kleinen Teil zur Forschung beizutragen, aber dies zu finden, machte es zu einem ganz besonderen Tag.“

Die Archäologin Marta Alberti, die zu dem Team gehört, das die Ausgrabungen in Vindolanda beaufsichtigt, setzt nun alle Hinweise zusammen, um herauszufinden, wen die Schnitzerei darstellen könnte. Da es in Vindolanda keine vergleichbaren Funde und keine Inschrift auf dem Relief gibt, liegen diese Hinweise in den feineren Details der Schnitzerei. Marta kommentiert: „Die Nacktheit des Mannes bedeutet, dass es sich wahrscheinlich um einen Gott handelt und nicht um einen einfachen Reiter. Er trägt auch einen Speer in seinem linken Arm, ein übliches Attribut des Kriegsgottes Mars. Aber wenn man sich seinen Kopf ansieht, könnte man die beiden fast kreisförmigen Merkmale als Flügel identifizieren: ein übliches Attribut von Merkur – dem Gott des Reisens. Pferde und Esel werden auch oft mit Merkur als Beschützer der Reisenden in Verbindung gebracht“.

Ein weiterer Hinweis liegt nicht in dem Fund selbst, sondern in dem Ort, an dem er gefunden wurde. Der Steinboden befand sich in unmittelbarer Nähe zu einer großen Kavalleriekaserne aus dem 4. Jh. n. Chr. Die Einheiten, die sich in diesem Teil des Kastells aufhielten, könnten ihre eigene Interpretation von Mars oder Merkur gehabt haben, oder eine dritte und bisher nicht identifizierte Version des Gottes, die die Eigenschaften beider vereint. Marta kommentierte: „Dieses interessante Relief könnte etwas darstellen, das wir nicht nur noch nie gesehen haben, sondern vielleicht auch nie wieder sehen werden“. 

Das Artefakt wird in der aktuellen Fundausstellung im Museum von Vindolanda ab dem 1. Juli für den Rest der Saison 2021 zu sehen sein. Eine Reservierung ist derzeit erforderlich.

Nach einer Pressemeldung des Vindolanda Charitable Trust

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