Wie sich historische Gesellschaften an klimatische Veränderungen anpassten und was wir heute daraus lernen können

Ein neuer interdisziplinärer Forschungsansatz soll helfen, die historischen Wechselwirkungen zwischen Klima und Gesellschaft besser zu verstehen

Die Anzeichen des gegenwärtigen, vom Menschen verursachten Klimawandels werden immer alarmierender. Damit wird auch die Erforschung der Frage, wie vergangene Gesellschaften auf natürliche Klimaveränderungen reagierten, immer dringlicher. In der Forschung wurde häufig argumentiert, dass Klimaveränderungen Gemeinschaften in eine Krise stürzten und die Bedingungen für den Zusammenbruch von Gesellschaften schufen. Eine wachsende Zahl von Untersuchungen zeigt jedoch, dass die Auswirkungen des Klimawandels auf frühere Bevölkerungsgruppen selten so unmittelbar und eindeutig waren.

In einer neuen Studie, die am 24. März in Nature erschien, stellen Wissenschaftler:innen aus den Disziplinen Archäologie, Geographie, Geschichte und Paläoklimatologie einen Forschungsrahmen für das vor, was sie als „Geschichte von Klima und Gesellschaft“ (HSC = History of Climate and Society) bezeichnen. Dieser Ansatz will verbreitete Probleme und Verzerrungen (Biases) von HCS-Studien adressieren und fordert dazu auf, Expert:innen zahlreicher natur-, sozial- und geisteswissenschaftlicher Disziplinen einzubeziehen.

Flussdiagramm, das die binären Fragen bei HCS verdeutlicht und zeigt, welche Wechselwirkungen klimatische Veränderungen, Gesellschaften und das regionale Umfeld untereinander haben.
Binäre Fragen, die sich mit vier zentralen Herausforderungen bei HCS befassen: Evidenz interpretieren, Dynamik über Skalen hinweg überbrücken, Kausalmechanik etablieren und Unsicherheit abschätzen (Quelle: Degroot et al., 2021(1).

Innerhalb des neu entwickelten Forschungsrahmens erstellte das Forschungsteam Fallstudien von Gesellschaften, die sich an zwei der am häufigsten untersuchten Perioden klimatischer Veränderungen anpassen konnten: die spätantike Kleine Eiszeit des 6. Jh. und die Kleine Eiszeit des 13. bis 19. Jh. Obwohl beide Perioden viele historische Gemeinschaften unter Druck setzten, zeigen die Fallstudien doch, dass sich die Bevölkerungen in fünf Dimensionen anpassen konnten, indem sie (1) neue sozioökonomische Chancen ergriffen, (2) sich auf robuste Energiesysteme verließen, (3) neue Ressourcen durch Handel generierten, (4) effektiv politisch auf natürliche Extremereignisse reagierten oder (5) in neue Umgebungen migrierten.

Ein Beispiel für diese Widerstandsfähigkeit ist die Reaktion der Gesellschaft auf den Klimawandel im östlichen Mittelmeerraum unter römischer Herrschaft. Umweltrekonstruktionen anhand von See-Sedimenten, Speläothemen (Mineralablagerungen, z.B. in Höhlen) und anderen Proxydaten zeigen erhöhte Winterniederschläge, die im fünften Jahrhundert begannen und bis in die spätantike Kleine Eiszeit andauerten. Pollendaten und archäologische Oberflächenuntersuchungen zeigen, dass Getreideanbau und Weideviehhaltung infolge der vermehrten Niederschläge florierten, wobei viele Siedlungen an Dichte und Fläche zunahmen. Regionale Wirtschaftspraktiken ermöglichten einen einfachen Warenaustausch zwischen den Gemeinden und ließen die Verbraucher an den Vorteilen der erhöhten landwirtschaftlichen Produktion teilhaben. Währenddessen investierten die Eliten in eine marktorientierte Landwirtschaft und finanzierten den Bau von Dämmen und anderer Infrastruktur, die es den Landwirten ermöglichte, das Wasser effektiver zu verwalten.

„Die Erfolgsgeschichte des spätrömischen östlichen Mittelmeerraums zeigt, dass ungünstige klimatische Bedingungen nicht zwangsläufig zu Zusammenbruch oder sozialer Not führen müssen. Diese gut organisierte und einfallsreiche Gesellschaft war in der Lage, sich anzupassen und die neuen Möglichkeiten zu nutzen“, sagt Adam Izdebski vom Jenaer Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte. „Angesichts der für das 21. Jahrhundert vorhergesagten zunehmenden Trockenheit in diesem Teil der Welt sind die heute erforderlichen Anpassungsmaßnahmen natürlich andere und müssten sehr viel ehrgeiziger sein, die heute erforderlichen Anpassungsmaßnahmen natürlich anders und viel ehrgeiziger sein, was die Notwendigkeit unterstreicht, die CO2-Emissionen so schnell wie möglich massiv zu senken.“

Fotografie von spätantiken Ruinen. Zu sehen ist eine zweistöckige Hausfassade, deren Aufbau in beiden Stockwerken fast identisch ist und aus einer großen rechteckigen Öffnung, einmal als Eingang und einmal als Fenster besteht. Diese wird von zwei Nischen und einem kleineren Fenster flankiert.
Ruinen spätantiker Dörfer im Kalksteinmassiv in Syrien: Während der spätantiken Kleinen Eiszeit dehnten sich ländliche Siedlungen im römischen und sassanidischen Nahen Osten aus (Foto: Artur Rodziewicz).

Obwohl die Klimaveränderungen, mit denen historische Gesellschaften konfrontiert waren, weniger schwerwiegend waren als die Veränderungen, denen wir heute gegenüberstehen, zeigen diese Fallstudien doch, dass sich Gemeinschaften und Gesellschaften häufig anpassen und in Zeiten klimatischer Veränderungen bestehen konnten.

Das Forschungsteam hofft, dass mit einem Forschungsansatz, der die sehr unterschiedlichen Auswirkungen vergangener Klimaveränderungen und die Herausforderungen bei der Interpretation historischer Quellen berücksichtigt, zukünftige Studien zur Geschichte von Klima und Gesellschaft bisher übersehene Beispiele von Resilienz in der Vergangenheit identifizieren können. So lassen sich auch die Bemühungen zur Anpassung an die beispiellose globale Erwärmung des 21. Jahrhunderts unterstützen.

| Nach einer Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Zusammenarbeit mit der Georgetown University, dem Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europas, Leipzig, der Universität Gießen und der Universität Freiburg


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