Neue Forschung zu Ernährungsgewohnheiten in den ersten Städten

Vier ineinander gestapelte Schalen aus Ton.
Glockentöpfe (Foto: Universität Glasgow)

In Mesopotamien, dem heutigen Irak, entstanden vor etwa 5500 Jahren die ersten Stadtstaatengesellschaften der Welt. Kein anderer Artefakttyp ist symbolträchtiger für diese Entwicklung als der sog. Glockentopf (auf Englisch: Beveled Rim Bowl bzw. BRB), die erste in Massenproduktion hergestellte Keramikschale. Die Funktion der Glockentöpfe und die Frage, welche Nahrungsmittel diese Schalen enthielten, ist seit über einem Jahrhundert Gegenstand von Debatten.

Eine am 18. November 2022 in The Journal of Archaeological Science: Reports veröffentlichte Arbeit zeigt, dass Glockentöpfe eine Vielzahl von Lebensmitteln enthielten, vor allem aber fleischhaltige Mahlzeiten, höchstwahrscheinlich mit Knochenmark gewürzte Eintöpfe oder Brühen.

Chemische Verbindungen und stabile Isotopensignaturen von tierischen Fetten wurden in Glockentöpfen aus der spätchalkolithischen Fundstätte Shakhi Kora im oberen Diyala/Sirwan-Flusstal im Nordosten Iraks entdeckt.

Ein internationales Team unter der Leitung von Professor Claudia Glatz von der Universität Glasgow führt seit 2019 im Rahmen des Sirwan-Regionalprojekts Ausgrabungen in Shakhi Kora durch.

Glockentöpfe sind massenhaft hergestellte, dickwandige, konische Gefäße, die sich offenbar von südlichen Tieflandstandorten wie Uruk-Warka über das nördliche Mesopotamien bis ins Zagros-Vorgebirge und darüber hinaus verbreiteten. Glockentöpfe werden zu Tausenden an spätchalkolithischen Fundorten gefunden, oft in Verbindung mit monumentalen Strukturen.

Stilisierte Glockentöpfe erscheinen auf den frühesten schriftlichen Dokumenten, den frühen Keilschrifttafeln, und werden üblicherweise als Rationsbehälter interpretiert, die zur Verteilung von Getreide oder getreidehaltigen Nahrungsmitteln an vom Staat abhängige Arbeiter oder Angestellte verwendet wurden. Da Getreidekörner wie Weizen, Emmer und Gerste steuerpflichtig und lagerfähig sind, gelten sie seit langem als wirtschaftliches Rückgrat und Hauptquelle für Reichtum und Macht der frühen staatlichen Institutionen und ihrer Eliten.

Foto von der Ausgrabung in Shakhi Kora.
Bei der Ausgrabung in Shakhi Kora wurden Glockentöpfe gefunden. (Foto: Universität Glasgow)

Der Aufsatz „Revealing invisible stews: New results of organic residue analyses of Beveled Rim Bowls from the Late Chalcolithic site of Shakhi Kora, Kurdistan Region of Iraq“ stellt jedoch klar: „Unsere Analyseergebnisse stellen traditionelle Interpretationen in Frage, die Glockentöpfe als Behälter für getreidebasierte Rationen und Brotformen betrachten. Das Vorhandensein von fleisch- und möglicherweise auch milchbasierten Nahrungsmitteln in den Gefäßen von Shakhi Kora unterstützt Mehrzweckerklärungen und weist auf lokale Prozesse der Aneignung von Bedeutung und Funktion der Gefäße hin.“

Dr. Elsa Perruchini vom Institut National du Patrimoine, Paris, und der Universität Glasgow, die die chemische Analyse durchführte, sagte: „Der kombinierte Ansatz von chemischer und isotopischer Analyse mittels GC-MS und GC-C-IRMS wurde angewandt, um die Quelle(n) der aus den Keramikscherben extrahierten Lipide zu identifizieren, mit dem Ziel, neue Einblicke in die Funktion der Glockentöpfe zu gewinnen“.

Professor Claudia Glatz, Professorin für Archäologie an der Universität Glasgow und Leiterin der Ausgrabungen in Shakhi Kora, sagte: „Unsere Ergebnisse stellen einen bedeutenden Fortschritt in der Erforschung des frühen Urbanismus und der Entstehung von staatlichen Intuitionen dar.

„Sie zeigen, dass es in Mesopotamien erhebliche lokale Unterschiede in der Art und Weise gibt, wie Glockentöpfe genutzt wurden und welche Speisen darin serviert wurden, was allzu staatszentrierte Modelle früher sozialer Komplexität in Frage stellt.“

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„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Übernahme und Neuinterpretation der Funktion und der sozialen Symbolik von Objekten, die andernorts eindeutig mit staatlichen Institutionen und spezifischen Praktiken in Verbindung gebracht werden, in hohem Maße auf lokaler Ebene erfolgte. Infolgedessen eröffnen sie aufregende neue Wege für die Erforschung der Rolle von Lebensmitteln und Ernährungsgewohnheiten bei der Entwicklung, Aushandlung und möglichen Ablehnung des frühen Staates auf regionaler und lokaler Ebene.“

Professor Jaime Toney, Professor für Umwelt- und Klimawissenschaften an der School of Geographical and Earth Sciences der Universität, sagte: „Wir arbeiten seit mehreren Jahren eng mit Claudia und ihrem Team zusammen, um die Kontamination bei der Entnahme von Gefäßen aus archäologischen Stätten zu minimieren, und es ist faszinierend zu sehen, dass sich dies mit der Analyse der fossilen Rückstände auszahlt, und die Analyse der stabilen Isotope zeigt eindeutig, dass sie einst tierische Fette enthielten.“

Nach einer Pressemeldung der Universität Glasgow

Cover AW Sonderheft 1522

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