Kopflose Vögel aus einzigartigem Falkenschrein in Ägypten

Skelett eines kopflosen Falken aus dem Falkenschrein in Berenike.
Die Überreste eines der kopflosen Falken. (Foto: M. Osypińska)

Die Überreste von mehr als einem Dutzend kopfloser Falken, die vor 1.500 Jahren in einem altägyptischen Heiligtum deponiert wurden, sind von Archäologen im Hafen von Berenike am Roten Meer entdeckt worden. Die Überreste wurden zusammen mit Eierschalen neben einer stilisierten Skulptur gefunden.

Dr. Marta Osypińska vom Institut für Archäologie der Universität Wrocław, die die Überreste der Vögel analysierte, sagte: „Die Entdeckung des ‚Falkenschreins‘ war ein reiner Zufall. Bis zum Beginn der Forschungen wusste niemand, welche Funktion das Gebäude hatte. Man nahm an, dass es eine administrative Funktion hätte.“

Sie fügte hinzu: „Nachdem ich das Gefäß angehoben hatte, stellte sich heraus, dass sich darunter Knochen befanden. Es war ein sorgfältig arrangiertes, vollständiges Skelett eines erwachsenen Falken. Es hatte einen Schädel und einen großen Schnabel.“

Vollständiges Skelett eines Falken aus dem Falkenschrein in Berenike.
Nur einem Falken – versteckt unter einem Gefäß – wurde der Kopf nicht abgeschlagen. (Foto: M. Osypińska)

Das Gebäude, in dem die Falken deponiert worden waren, war zwar nicht groß, aber der Eingang dazu war monumental. Unmittelbar vor dem Eingang entdeckten die Archäologen eine kleine Stele – eine Steinplatte, die mit Darstellungen ägyptischer Götter verziert war, darunter auch Horus, der Falkengott.

Obwohl der Kult des Horus, der in Form eines Vogels verehrt wurde, im alten Ägypten weit verbreitet war, ist der entdeckte Falkenschrein nach Ansicht der Forscher einzigartig.

Die Archäologen entdeckten auch eine Inschrift in griechischer Sprache, die besagt: „Es ist unangemessen, hier einen Kopf zu kochen.“

Professor Olaf Kaper von der Universität Leiden, der den antiken Text entzifferte, sagte: „Der Text hat alle verblüfft. Während im 3. bis 4. Jahrhundert in Ägypten das Christentum weit verbreitet war, gab es in der Wüste noch den mit dem Gott Horus verbundenen Falkenkult, und Vögel wurden Horus geopfert.“

Laut Dr. Osypińska ist unklar, warum die Köpfe der Falken fehlten und warum das einzige vollständige Skelett mit einem Gefäß bedeckt war. Nach Ansicht der Forscherin könnte diese Form der Bestattung darauf hindeuten, dass die Körper der Vögel gekocht wurden.

Zwischen dem 4. und 6. Jahrhundert n. Chr. wurde Berenike von Blemmyern bewohnt, die von den Machthabern anderer Mittelmeerreiche unabhängig wurden.

Es handelte sich um einen wenig bekannten nubischen Nomadenstamm, der die gebirgige östliche Wüste bewohnte. Damals kontrollierte er jedoch das Gebiet östlich des Nils, vom heutigen Äthiopien bis nach Berenike. Die Elite verwalteten die Stadt und wurde durch die Beteiligung am Handel zwischen Byzanz und den im Gebiet des Indischen Ozeans lebenden Gemeinschaften reich. Als „kultureller Schmelztiegel“ übernahmen die Blemmyer die ägyptische Religion in einer spezifischen Form, die deutliche griechische und römische Einflüsse aufwies.

Das entdeckte Heiligtum wurde auf einem der höchsten Hügel der antiken Stadt errichtet. In dieser Gegend befanden sich auch andere Heiligtümer: der Große Tempel des Serapis und der Isis, der nach ägyptischem Vorbild erbaut wurde.

Während seiner Nutzung war der Falkenschrein im Inneren dunkel, die Wände bestehen aus Sandstein und Kalksteinblöcken, und in der Mitte befand sich ein Steinsockel, auf dem wahrscheinlich die Horus-Statue stand. Die kopflosen Falken wurden in der Nähe deponiert.

Dr. Osypińska sagte: „Wir können uns vorstellen, dass der Innenraum mit Öllampen beleuchtet war und Weihrauch verbrannt wurde. Die Gläubigen brachten Falken mit, um die Gunst des Horus zu gewinnen. Sie konnten die Vögel fangen oder sie aus Nestern in den nahe gelegenen Bergen stehlen. Es ist auch möglich, dass in Berenike Falken für rituelle Zwecke gezüchtet wurden“.

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Prof. H. Albert Gilg ist weltweit ein gefragter Experte für die Identifizierung von Edelsteinen in historischen Objekten und die Bestimmung ihrer Herkunft. Der Rohstoffgeologe arbeitet am Lehrstuhl für Ingenieurgeologie der Technischen Universität München (TUM). In diesem Jahr war er auf Expedition im römischen Smaragdabbaugebiet Mons Smaragdus im Wādī-el-Gimāl-Ḥamāṭa-Nationalpark in Ägypten.

Berenike wurde im 3. Jahrhundert v. Chr. von Ptolemaios II. gegründet. Ursprünglich diente der Hafen als Umschlagplatz für afrikanische Elefanten. Im ersten Jahrhundert n. Chr. machten die Römer, die die Macht über Ägypten übernahmen, die Stadt zu einem wichtigen Knotenpunkt für den Überseehandel, der Schwarzafrika, den Nahen Osten und Indien verband.

Das Berenike-Projekt ist eine gemeinsame Initiative des Polnischen Zentrums für Archäologie des Mittelmeerraums der Universität Warschau und der Universität Delaware. Die archäozoologische Forschung in Berenike wird vom Polnischen Nationalen Wissenschaftszentrum finanziert. Dr. Joan Oller Guzmán von der Autonomen Universität Barcelona leitete die Ausgrabungen im Falkenheiligtum.

Die Ergebnisse der Forschungen im Schrein sind kürzlich im American Journal of Archaeology erschienen.

Nach einer Pressemitteilung von PAP – Science in Poland, Szymon Zdziebłowski

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