3500 Jahre alte Inschriften in Hattuscha entdeckt

Eine anatolische Hieroglyphe aus Hattuscha, auf einen Felsen gemalt.
Ein Beispiel einer anatolischen Hieroglyphe an Yerkapı (wahrscheinlich Kurunta = der Name eines Gottes). Foto: Bülent Genç / Deutsches Archäologisches Institut

Anfang August 2022 gelang einem Grabungsteam des Deutschen Archäologischen Instituts in der ehemaligen Hethiterhauptstadt Hattuscha ein ganz besonderer Fund. Gemalte Grafitti zeigen erstmals, dass die anatolische Hieroglyphenschrift in der Gesellschaft des 2. Jahrtausends v. Chr. viel weiter verbreitet war, als dies bisher angenommen wurde.

Etwa 200 km östlich der türkischen Hauptstadt Ankara liegt unmittelbar bei der Kleinstadt Boğazkale (früher Boğazköy) die bronzezeitliche Stadtruine von Hattuscha. Einst war Hattuscha die Hauptstadt des hethitischen Großreichs, welches im 2. Jahrtausend v. Chr. weite Teile Westasiens beherrschte.

Anfang August gelang Dr. Bülent Genç, Mitglied des Grabungsteams und Dozent für Archäologie an der Artuklu Universität in Mardin, bei Yerkapı (zu Deutsch: das Tor im Boden), eine besondere Entdeckung. In einem nicht ausgeleuchteten Tunnel, des seit jeher bekannten Monuments in der Oberstadt, bemerkte er Zeichen. Diese waren mit rotbrauner Wurzelfarbe auf die grob bearbeiteten Steine der Wände gemalt worden. In den noch andauernden Untersuchungen wurden inzwischen Spuren von mindestens 249 Zeichen in anatolischen Hieroglyphen (Bildzeichen) entdeckt. Zwar sind einige von ihnen zu stark erodiert, um lesbar zu sein, aber die meisten sind gut erhalten und klar zu entziffern.

Nach ersten Auswertungen der Philologen des Grabungsteams (M. Alparslan und M. Marazzi) gibt es in der sogenannten Poterne von Yerkapı mindestens acht verschiedene Gruppen von wiederholenden Zeichen. Eine dieser Zeichengruppen konnte bisher 38 Mal identifiziert werden. Offenbar handelt es sich um keine zusammenhänge Inschrift, sondern um kurze Notationen (Grafitti). Erste Beobachtungen gehen von Personen- oder Götternnamen aus, sowie eine mögliche Bezeichnung dieses unterirdischen Wegs in der hethitischen Periode.

Anatolische Hieroglyphen und die Bedeutung der neu entdeckten Inschriften

In der hethitischen Großreichszeit finden sich anatolische Hieroglyphen regelmäßig auf Felsmonumenten oder Siegeln, entweder eingraviert oder als Relief. Die in Yerkapı entdeckten Zeichen wurden jedoch mit Farbe auf die Steinblöcke geschrieben. Bisher waren gemalte Inschriften nur aus Kayalıpınar (Sivas) und Suratkaya (Muğla) bekannt. Und ihre Anzahl war äußerst gering. Durch die Funde von Yerkapı wird nun immer deutlicher, dass die anatolische Hieroglyphenschrift in der Gesellschaft des 2. Jahrtausends v. Chr. viel weiter verbreitet war, als dies bisher angenommen wurde. Durch diese Funde öffnet sich ein völlig neues, unerwartetes Fenster zur Spätbronzezeit.
Um diese einzigartige Entdeckung zu dokumentieren, werden die Hieroglyphen zusammen mit dem gesamten Bauwerk in Kooperation mit Kolleg:innen der Universität Federico II – DiSTAR (Neapel; L. Repola und sein Team) dreidimensional digital aufgenommen und modelliert.

Der Auffindungsort

Die künstlich aufgeschüttete bis zu 40 m hohe und fast 250 m lange pyramidal anmutenden Anlage Yerkapı diente einst zur Befestigung der Stadt. Die Stadtmauer, welche über den Wall verläuft, besaß ein ursprünglich mit 4 Sphingen geschmücktes Tor. Das aufwendige, weithin sichtbare Bauwerk diente nicht der Verteidigung, sondern war höchstwahrscheinlich Teil kultischer Inszenierungen. Im Gegensatz zu allen anderen Monumenten und Gebäuden in der Stadt war Yerkapı aber immer sichtbar und der Tunnel zumindest teilweise begehbar.

Die archäologischen Forschungen in Hattuscha

Seit 116 Jahren wird Hattuscha (UNESCO Weltkulturerbe und UNESCO Memory of the World) mit Genehmigung des Ministeriums für Kultur und Tourismus der Republik Türkei erforscht. Ziel des internationalen Teams, seit 2006 unter der Leitung von Prof. Dr. Andreas Schachner vom Deutschen Archäologischen Institut in Istanbul, ist die systemantische Forschung Hattuschas. Dabei stehen Ausgrabungen, Fundbearbeitungen und Restaurierungen im Fokus des Arbeitsprogramms.

Die aktuellen Arbeiten finden im Rahmen des insgesamt durch das Deutsche Archäologische Institut (DAI), die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die Thyssen-Stiftung, die GRH Stiftung und das italienische Außenministerium geförderten Arbeiten in Boğazköy/Hattuscha statt. Bei der Dokumentation und Auswertung arbeiten Kolleginnen und Kollegen des DAIs, der Universität Istanbul und der Universitäten Federico II und Suor Orsola Benicasa (beide in Neapel) zusammen.

Nach einer Pressemeldung des Deutschen Archäologischen Instituts

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Hieroglyphen

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