Erforschung von Cold Springs: Hatte die Demokratie einen eigenen Ursprung in Amerika?

Es wird allgemein angenommen, dass die Demokratie vor etwa 2 500 Jahren im Mittelmeerraum entstand, bevor sie sich durch kulturelle Kontakte in andere Teile der Welt verbreitete. Neue Forschungsergebnisse des Laboratory of Archeology der University of Georgia und seiner Partner in der Muscogee Nation in der Cold Springs Site deuten jedoch darauf hin, dass die Bewohner Amerikas mindestens ein Jahrtausend vor dem Kontakt mit den Europäern eine kollektive Regierungsform im demokratischen Stil praktiziert haben könnten.

Rekonstruiertes Beispiel eines Ratshauses der amerikanischen Ureinwohner
Die Ratshäuser der Ureinwohner (wie dieses rekonstruierte Beispiel in der Mission San Luis de Apalachee in Tallahassee, Florida) waren ein Ort für öffentliche Versammlungen und Zeremonien früher amerikanischer Gemeinschaften. Sie wurden an vielen Orten im Südosten der USA nachgewiesen. (Foto: UGA Laboratory of Archaeology)

Ratshäuser der Cold Springs Site

Einem neuen Artikel zufolge, der in der Zeitschrift American Antiquity veröffentlicht wurde, weisen Artefakte aus der Cold Springs Site im zentralen Georgia auf ein „Ratshaus“ hin, das laut Radiokarbondatierung vor etwa 1 500 Jahren bewohnt war. Ratshäuser werden noch heute von den Nachfahren dieser frühen amerikanischen Gemeinschaften genutzt. Sie waren große, kreisförmige Strukturen, die Hunderte oder sogar Tausende von Teilnehmern ritueller Versammlungen, bei denen kollektive Entscheidungen getroffen wurden, beherbergen konnten.

Die Iroquois Confederacy, ein Zusammenschluss von fünf indigenen Völkern, die im heutigen Nordosten der Vereinigten Staaten ansässig waren, wird als Beispiel für eine frühe amerikanische Demokratie angeführt. Einige Archäologen datieren die Entstehung der Iroquois Confederacy jedoch auf die Mitte des 15. Jhs., nur wenige Jahrzehnte vor dem Kontakt mit Europa. Auf der Grundlage der Analyse des Materials aus Cold Springs geht das UGA-Team davon aus, dass demokratische Institutionen, die mit einer kollektiven Regierung verbunden sind, viel früher entstanden sind.

„Die wichtigste Erkenntnis ist, dass diese Art von demokratischen Institutionen sehr langlebig waren und vielleicht schon Jahrtausende vor der Ankunft der Europäer existierten“, so Victor Thompson, Distinguished Research Professor und Direktor des Laboratory of Archaeology. „Das ist eine ganz andere Perspektive auf die Herrschaft der Ureinwohner in dieser Region, als die meisten Archäologen sie haben“.

Historisch gesehen, so Thompson, ist die Deutung von Ratshäusern an die von Erdhügeln gebunden; konzentrische Kreise von Pfostenlöchern – die archäologischen Beweise für Ratshäuser – wurden oft in der Nähe oder auf den Erdhügeln gefunden. Im Laufe der Jahrhunderte seit der Ankunft der Europäer hat sich ein Konsens herausgebildet, dass Hügel und Häuser bis vor etwa 1.000 Jahren rein zeremoniellen Zwecken dienten und von weitgehend egalitären Völkern errichtet wurden, sich dann aber plötzlich in politische Strukturen verwandelten, die von einem Dorf-„Häuptling“ beherrscht wurden.

Karte der Ausgrabungsstätte Cold Springs im heutigen Georgia
Die Ausgrabungsstätte Cold Springs im heutigen Georgia (Foto: UGA Laboratory of Archaeology)

Regierungsformen amerikanischer Ureinwohner

„[Die vorherrschende Meinung besagt, dass] Erdhügel vor 1.000 n. Chr. gemeinschaftlich genutzt und von Gesellschaften gebaut werden, die keine Häuptlinge oder Ähnliches haben“, sagte Thompson. „Ab 1.000 n. Chr. jedoch hat jeder einen Häuptling, und der Häuptling lebt auf der Plattform des Hügels. Das ist sehr einleuchtend. Unsere neue Arbeit vertieft diese Sichtweise und beleuchtet die Tatsache, dass es zwar verschiedene Positionen in diesen Regierungsstrukturen gab, diese aber weitaus komplizierter und demokratischer sind als die traditionellen Modelle, die die Archäologen seit den 1970er Jahren aufstellten.“

Seit den ersten Augenzeugenberichten spanischer Entdecker wurden die Kulturen der amerikanischen Ureinwohner als Häuptlingsdörfer dargestellt, die von autokratischen Personen geführt wurden, die mit großer Macht über ihr Volk ausgestattet waren. Nach Ansicht der indigenen Partner der UGA steht diese Sichtweise jedoch im Widerspruch zu den Formen kollektiver Regierungsführung, die sie noch heute praktizieren und die, wie die Tradition lehrt, lange vor der Ankunft der Europäer bestanden.

„Wir haben immer noch einen Nationalrat in unserem Ratshaus, der dort tagt und nationale Gesetze verabschiedet – so geht das schon seit Hunderten von Generationen“, sagte Turner Hunt, Bewahrungsbeauftragter der Muscogee (Creek) Nation und Mitautor der Studie. „[Die Idee der Häuptlingstümer] ist ein Ärgernis, und es ist ein Narrativ, das sehr schwer zu überwinden ist.“

Innenraum eines Ratshauses mit Rang anzeigender Sitzordnung
Die je nach Region auch als Rotunden oder Stadthäuser bezeichneten Ratshäuser verfügten oft über eine stark strukturierte Sitzordnung, die Rang und Status anzeigte, sowie über gemalte Geschichten der Gemeinschaft an den Wänden. (Foto: UGA Laboratory of Archaeology)

Neue Untersuchungen

Heute liegt die Stätte von Cold Springs teilweise unter dem Oconee-See, einem von Menschenhand geschaffenen Stausee etwa 75 Meilen östlich von Atlanta. Die Stätte wurde in den frühen 1970er Jahren ausgegraben, bevor der Damm am Oconee River fertiggestellt wurde, durch den der See entstand. Für ihre aktuelle Forschung untersuchten Thompson und seine Kollegen erneut Artefakte aus dieser Ausgrabung, die sich seit fast 50 Jahren in den Sammlungen des Laboratory of Archaeology befinden.

„Das ist das Schöne an Museumssammlungen“, sagte Thompson. „Sie liegen einfach da und können einem so viel erzählen. Alles, was man braucht, sind neue Ideen, neue Methoden, um diese Sammlungen noch einmal zu untersuchen“.

Die Forscher führten neue Radiokohlenstoffdatierungen an den vorhandenen Artefakten durch – insgesamt 44 neue Daten, die Cold Springs nun zu einer der am besten datierten frühen Erdhügelstätten im Südosten machen. Die Untersuchungen ergaben, dass die erste Besiedlung der Stätte zwischen 500 und 700 n. Chr. stattfand, wobei der Bau des Ratshauses um 500 n. Chr. begann.

„Wir trafen uns auf Zoom und sahen uns Bilder von Pfostenlöchern an – tonnenweise Bilder von Pfostenlöchern“, so RaeLynn Butler, Leiterin der Abteilung für historische und kulturelle Erhaltung der Muscogee Nation. „Unser Hauptbeitrag bestand darin, die Informationen zu verarbeiten und unser traditionelles Wissen und unsere Sichtweise als Stammesangehörige einzubringen, um dieser Forschung den dringend benötigten Kontext unserer sozialen Organisation und unserer traditionellen Regierungsformen zu geben.“

Letztendlich, so Hunt und Butler, hoffen sie zu zeigen, dass Stätten wie Cold Springs nicht wie Stonehenge oder die ägyptischen Pyramiden von der heutigen Gesellschaft entfernt sind. Sie sind keine Relikte längst untergegangener Kulturen, die nur noch historische oder archäologische Bedeutung haben.

„Dies ist eine Abhandlung über die Institutionen der frühen Muskogäer, aber es gibt eine lebendige, aktive Kultur, die direkt mit ihnen verbunden ist“, sagte Hunt. „Wir glauben, dass unsere Regierungen, unsere demokratischen Institutionen, diese Lebensweise schon seit Tausenden von Jahren praktizieren. Wir sind mit diesen Menschen durch die Art und Weise, wie wir uns heute noch verhalten, verbunden.“

Nach einer Pressemeldung der University of Georgia

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