Was trieb Erfindung von Kriegsmaschinen voran?

Neue Forschungsarbeiten, die im Rahmen des Complexity Science Hub Vienna durchgeführt und auf einen umfangreichen historischen Datensatz angewandt wurden, werfen ein Licht auf die Entwicklung von „Kriegsmaschinen“.

Der Leiter des CSH-Teams, Peter Turchin, und ein interdisziplinäres Team von Kollegen, darunter Jenny Reddish, wollten konkurrierende Theorien darüber prüfen, was die Entwicklung von Kriegsmaschinen im Laufe der Weltgeschichte angetrieben hat. Laut ihrer Studie, die soeben in der Fachzeitschrift PLOS ONE veröffentlicht wurde, sind die stärksten Einflüsse auf die Entwicklung der Militärtechnologie auf folgende Faktoren zurückzuführen: die Größe der Weltbevölkerung, die Verbindungen zwischen geografischen Gebieten, Fortschritte bei wichtigen Technologien wie der Eisenmetallurgie oder dem Reiten.

Das assyrische Relief zeigt zwei Reiter, die über gefallene Gegner reiten und einen Mann auf einem Kamel, bei dem es sich ebenfalls um ihren Gegner handelt, verfolgen.
Assyrisches Relief mit einer Kampfszene (Foto: Mharrsch / Wikimedia Commons, CC BY 4.0 Lizenz).

 Umgekehrt scheinen – zur Überraschung der Forscher – Faktoren auf staatlicher Ebene wie die Größe der Bevölkerung, des Territoriums oder die Komplexität der Regierungsführung keine große Rolle gespielt zu haben.

 Nutzung großer Daten für große Fragen

 „Mit dieser Studie verfolgten wir zwei Ziele“, erklärt Peter Turchin. „Erstens wollten wir ein klares Bild davon zeichnen, wo und wann militärische Technologien in vorindustriellen Gesellschaften auftauchten. Zweitens wollten wir herausfinden, warum wichtige Technologien an bestimmten Orten entwickelt oder übernommen wurden.“

Für ihre Analysen nutzten die Forscher die Seshat: Global History Databank, eine große und ständig wachsende Sammlung historischer und archäologischer Daten aus der ganzen Welt. Bis heute hat Seshat rund 200.000 Einträge aus mehr als 500 Gesellschaften zusammengetragen, die 10.000 Jahre Menschheitsgeschichte umfassen.

„Seshat ist eine Goldgrube für die Erforschung der kulturellen Evolution“, sagt Peter Turchin, der die Datenbank zusammen mit einem Team aus Anthropologen, Historikern, Archäologen, Mathematikern, Informatikern und Evolutionswissenschaftlern initiiert und weiterentwickelt hat. Um diese Daten zu erforschen, wandten die Autoren innovative quantitative Methoden der mathematischen Modellierung und statistischen Analyse an.

 Gebiss und Zaumzeug führten zu Mega-Imperien

 „Einige militärische Erfindungen hatten kaskadenartige Auswirkungen auf die kulturelle und soziale Evolution“, erklärt Turchin, der die Datenanalysen in dieser Studie durchführte. „Die Erfindung von Gebiss und Zaumzeug zum Beispiel erleichterte die Kontrolle der Pferde, was zu Fortschritten bei den Waffen oder dem Auftreten von berittenen Bogenschützen und Rittern führte, was wiederum den Bau besserer Befestigungen erforderlich machte. Unserer Studie zufolge war dieses Bündel von Militärtechnologien einer der wichtigsten Faktoren, die zum Entstehen von Mega-Imperien und von Weltreligionen wie dem Christentum, dem Buddhismus und dem Islam im 1. Jt. v. Chr. führten.“

Das Forscherteam definiert ein „Mega-Imperium“ als eine Gesellschaft mit mehreren zehn Millionen Einwohnern und einer Fläche von Millionen Quadratkilometern, die in verschiedenen Teilen Europas und Asiens als Teil eines Prozesses wachsender sozialer Komplexität auftrat, der durch die Verbindung – und den Wettbewerb – zwischen Staaten mit zunehmend fortschrittlicher und gefährlicher Technologie angetrieben wurde.

Die Wissenschaftler fanden auch deutliche Hinweise auf die Bedeutung der landwirtschaftlichen Produktivität. „Ein gewisses Maß an Nahrungsmittelproduktion war möglicherweise für die anschließende Entwicklung neuer Kriegstechnologien erforderlich“, sagt Mitautor Dan Hoyer, der die Seshat-Datenerhebung leitet und organisiert. „Es wäre ein interessanter nächster Forschungsschritt, die Rolle der Landwirtschaft für die Entwicklung der Militärtechnologie genauer zu untersuchen.“

Fragen aus der Vergangenheit für unsere Zukunft

 Seshat wurde entwickelt, um Ursache und Wirkung in Theorien der sozialen Evolution zu unterscheiden.

„Gute Daten und Methoden wie die, die wir hier entwickelt haben, bieten eine neue Perspektive auf eine Vielzahl offener Fragen, Theorien und Kontroversen in verschiedenen Bereichen, von der Archäologie über die Geschichte bis hin zu den Sozialwissenschaften“, betont Turchin. Darüber hinaus können Studien wie diese zu einem allgemeinen Verständnis dessen beitragen, was eine Gesellschaft gedeihen lässt oder wie man frühe Anzeichen von Verfall und gesellschaftlichem Zusammenbruch erkennen kann.

„Ein grundlegendes Verständnis der sozialen Dynamik ist nicht nur von akademischem Interesse“, sagt Turchin, der mit einem Team am CSH an „Social Complexity and Collapse“ arbeitet. „Zu verstehen, was zu sozialem Wandel führt, und in der Lage zu sein, die ‚Kipppunkte‘ zu identifizieren, die entweder zu Resilienz oder zu einer Katastrophe führen, ist für uns alle entscheidend, besonders in der heutigen Zeit“, schließt er.

Nach einer Pressemeldung von Complexity Science Hub Vienna, Wien

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