Antikes Puzzle: die Wandmalerei im „Haus der Harfenspielerin“

Wandmalerei im "Hauser der Harfenspielerin" im Zweiten Pompejanischen Stil: Über einem Sockel aus grauen Marmorplatten erhebt sich eine Architektur in dunkelgelber Farbe. Vor einer Wand, die in der unteren Hälfte durch große, rechteckige, senkrecht verlaufende Paneele und in der oberen Hälfte durch kleine, rechteckige, waagrecht verlaufende Paneele gegliedert ist, stehen zwei große schmale Säulen. Diese stehe auf einem schmalen Podium und tragen einen schmalen Architrav / ein schmales Gebälk. Darüber befindet sich ein Fries aus dunkelgrünen Marmorplatten auf weißem Hintergrund.
Aus Fragmenten zusammengesetzte Wand im Zweiten Pompejanischen Stil, Dekoration des Vorraums (Foto: © J. Boislève, Inrap-MDAA).

Die 1978 von der Stadt Arles erworbene Stätte La Verrerie liegt am rechten Rhôneufer. Bei mehreren Ausgrabungen wurden reiche städtische Häuser (domus) freigelegt, die nach einem Brand um 260 n. Chr. verlassen wurden. Die Wiederaufnahme der Ausgrabungen durch das Musée départemental Arles antique und das Inrap zwischen 2014 und 2017 ermöglichte die Ausgrabung von Schichten, die in diesem Viertel nie zuvor erreicht wurden, und die Freilegung des „Hauses der Harfenspielerin“, dessen prächtige Fresken Gegenstand eines umfangreichen Programms zur Wiederherstellung, Untersuchung und Restaurierung sind.

Das Haus der Harfenspielerin, eine reiche römische Residenz

Dieser römische Wohnsitz, der in Anlehnung an eine der auf die Wände gemalten Figuren „Haus der Harfenspielerin“ genannt wird und auf 105 m² ausgegraben wurde, zeichnet sich durch seine sehr frühe Datierung, seinen luxuriösen Charakter und den außergewöhnlichen Erhaltungszustand des bemalten Putzes aus.

Es wurde in den 70er und 50er Jahren v. Chr. erbaut, also noch vor der Gründung der Kolonie Arles, und zwar von Handwerkern aus Italien, die das Haus nach römischen Bautechniken errichteten (gemauerte Wände, Ziegel, Böden aus Ziegelsteinen in Fischgrätmuster – opus spicatum -, die sich erst viel später, in den 30er Jahren v. Chr., in Gallien durchsetzen sollten). Diese frühe Datierung zeigt, dass Arles ein wichtiger Knotenpunkt für die Verbreitung neuer Moden und Techniken in den von Rom neu erworbenen Provinzen war.

Das Atrium hat einen für eine domus der späten Republik traditionellen Grundriss und besteht aus einer Galerie, die ein Regenwasserauffangbecken (impluvium) umgibt und eine Reihe von Räumen versorgt, von denen zwei vollständig ausgegraben wurden. Die Dekoration des ersten Raums lässt auf ein Esszimmer oder ein Schlafzimmer schließen. Der zweite Raum, der sich zum Atrium hin weit öffnet und mit prächtigen Malereien verziert ist, kann nur ein Empfangsraum sein.

Das Haus wurde zwischen 50 und 40 v. Chr. zerstört und mit seinem eigenen Schutt aufgefüllt.

Die Fresken wieder zusammensetzen: ein Puzzle aus 800 Kisten

In einem bemerkenswerten Erhaltungszustand befanden sich die Gemälde sowohl an den Wänden als auch in Form von Tausenden von Fragmenten, die in die Aufschüttungen gestürzt waren. Sie füllen 800 Kisten. Im Rahmen einer 2014 gegründeten Partnerschaft mit Inrap wurde die Untersuchung dieses archäologischen Funde Julien Boislève, einem Toichografen (Spezialist für Wandmalereien und Stuck) von Inrap, in Zusammenarbeit mit den Archäologen und Restauratoren des Museums, anvertraut. Seit April 2021 und über einen Zeitraum von drei Jahren haben diese Spezialisten die außergewöhnlichen Wandmalereien im „Haus der Harfenspielerin“ untersucht und restauriert.

Seit April 2021 wird die Rekonstruktion der ersten Wandmalerei im Herzen des Museums, im Saal der Wechselausstellung, durchgeführt, wo die Freskenfragmente mehr als 220 m² bedecken. Gleichzeitig führt die Konservierungs- und Restaurierungswerkstatt eine Vorbehandlung der bemalten Wände durch, die aus der Fundstätte entnommen wurden, um sie wieder für Studien zugänglich zu machen. Auch das verwendete Zinnoberrot wird untersucht, um eine Lösung gegen das Verdunkeln der Farbe zu finden. Die Studie wird demnächst in der Camargue im Château d’Avignon (Gemeinde Saintes-Maries-de-la-Mer) fortgesetzt.

Außergewöhnliche gemalte Dekorationen

Fragmente der Wandmalerei im "Haus der Harfenspielerin": Imitationen von Marmorplatten in unterschiedlichen Farben und Formen auf rotem Hintergrund.
Fragmente der Wandmalerei in der Nische (Foto: © J. Boislève, Inrap-MDAA).

In diesem Stadium der Untersuchung wurden mindestens sechs Dekorationen erkannt, die von dem prunkvollen Luxus des Eigentümers zeugen. Diese Gemälde gehören dem Zweiten Pompejanischen Stil an. Nur die reichsten, in der römischen Kultur verwurzelten Mäzene verfügten über die notwendigen Mittel, um italienische Werkstätten zu beauftragen. Dekorationen des Zweiten Pompejanischen Stils sind in Frankreich immer noch selten und keine andere Stätte hat bisher eine so große, vielfältige und hochwertige Sammlung hervorgebracht.

Das erste Zimmer, das in diesem Jahr untersucht wurde, hat eine architektonisch inspirierte Dekoration, die den Raum in zwei unterschiedliche Bereiche (Vorzimmer und Nische) unterteilt. Typisch für diesen Zweiten Pompejanischen Stil sind die Ornamente, die eine groß angelegte Architektur imitieren. Das Vorzimmer ist überwiegend gelb und die Nische wird durch aufwändigere Ornamente in viel kräftigeren Farben deutlich hervorgehoben.

Im Vorraum ist der untere Teil der Wand einem Podium aus grauem Marmor nachempfunden, der schwere gelbe Säulen trägt, während der obere Teil von Reihen farbiger Blöcke eingenommen wird. In der Nische sind die Gliederung und der Aufbau der Wand ähnlich gestaltet. Das farbenfrohe Podium wird durch Rosetten in Burgunderrot ergänzt. Reiche Paneele, die Marmorplatten imitieren, nehmen den mittleren Bereich ein, darüber befindet sich eine Reihe weitere aufgemalter Steinplatten in leuchtenden Farben sowie ein Fries mit einer „Liebesjagd“. Diese Art von Dekoration entspricht dem bisher in Gallien gefundenen Modell des Zweiten Pompejanischen Stils: sehr fragmentarisch erhaltene Bespiele finden sich in 15 weiteren Stätten (u. a. in Saint-Rémy-de-Provence, Nîmes, Narbonne).

Die Gemälde im Zeremoniensaal werden im Jahr 2022 untersucht. Sie enthalten eine andere Art von Dekoration, die in Gallien noch nicht bekannt ist: eine Galerie von großen Figuren, darunter die Harfenspielerin, die auf Sockeln vor einem zinnoberroten Hintergrund stehen. Die Musikerin wird von anderen Figuren begleitet, die wahrscheinlich zur bacchischen Prozession gehören. Diese Art der großformatigen Figuration wird als „Megalographie“ bezeichnet. Seltene Beispiele dieser Wanddekoration sind in Italien bekannt, insbesondere in der Villa dei Misteri in Pompeji. In Frankreich ist diese Art von Dekoration in einem solchen Erhaltungszustand ein echtes Novum.

Nach einer Pressemeldung des Institut national de recherches archéologiques préventives (Inrap)

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