Weltweit ältestes Beispiel für angewandte Geometrie

Dr. Mansfield im Archäologischen Museum in Istanbul.
Dr. Mansfield im Archäologischen Museum in Istanbul (Foto: UNSW Sydney).

Ein Mathematiker der UNSW hat die Ursprünge der angewandten Geometrie auf einer 3700 Jahre alten Tontafel aufgedeckt, die seit über einem Jahrhundert in einem Museum in Istanbul versteckt war. Die Tafel – bekannt als Si.427 – wurde im späten 19. Jahrhundert im heutigen Zentralirak entdeckt, aber ihre Bedeutung war bis zuletzt unbekannt.

Si.427 gilt als das älteste bekannte Beispiel für angewandte Geometrie – und in der heute in der Zeitschrift Foundations of Science veröffentlichten Studie enthüllt die Forschung auch eine fesselnde menschliche Geschichte der Landvermessung. „Si.427 stammt aus der altbabylonischen Periode – 1900 bis 1600 v. Chr.“, sagt der leitende Forscher Dr. Daniel Mansfield von der School of Mathematics and Statistics der UNSW Science.

„Es ist das einzige bekannte Beispiel eines Katasterdokuments aus der Altbabylonischen Zeit, also eines Plans, der von Vermessungsingenieuren zur Festlegung von Landgrenzen verwendet wird. In diesem Fall gibt er Aufschluss über rechtliche und geometrische Details eines Feldes, das nach dem Verkauf eines Teils davon aufgeteilt wurde.“

Es handelt sich um ein bedeutendes Objekt, da der Landvermesser die heute als „pythagoreische Dreiergruppe“ bezeichneten Zahlen verwendet, um genaue rechte Winkel zu bestimmen.

„Die Entdeckung und Analyse der Tafel hat wichtige Auswirkungen auf die Geschichte der Mathematik“, sagt Dr. Mansfield. „Zum Beispiel ist dies mehr als tausend Jahre vor der Geburt von Pythagoras.“

Das Objekt, welches als Si. 427 bekannt ist.
Das Objekt, welches als Si. 427 bekannt ist (Foto: UNSW Sydney).

Babylonische „Proto-Trigonometrie“

Im Jahr 2017 vermutete Dr. Mansfield, dass ein anderes faszinierendes Artefakt aus derselben Zeit, das als Plimpton 322 bekannt ist, eine einzigartige Art von trigonometrischer Tabelle ist.

„Es wird allgemein angenommen, dass die Trigonometrie – der Zweig der Mathematik, der sich mit dem Studium von Dreiecken befasst – von den alten Griechen entwickelt wurde, die im zweiten Jahrhundert vor Christus den Nachthimmel studierten“, sagt Dr. Mansfield.

„Aber die Babylonier entwickelten ihre eigene ‚Proto-Trigonometrie‘, um Probleme bei der Vermessung des Bodens, nicht des Himmels, zu lösen.

Man geht davon aus, dass die heute enthüllte Tafel schon vor Plimpton 322 existierte – tatsächlich haben Vermessungsprobleme Plimpton 322 wahrscheinlich inspiriert.

„Es gibt eine ganze Fülle von rechtwinkligen Dreiecken mit verschiedenen Formen. Aber nur eine sehr kleine Handvoll kann von den babylonischen Vermessern verwendet werden. Plimpton 322 ist eine systematische Untersuchung dieser, um die nützlichen Formen zu entdecken“, sagt Dr. Mansfield.

Eine Darstellung des Objekts bekannt als Plimpton 322.
Das Objekt, welches als Plimpton 322 bekannt ist (Foto: UNSW Sydney).

Landvermessung als Verwendungszweck

Bereits 2017 spekulierte das Team über den Zweck von Plimpton 322 und stellte die Hypothese auf, dass es wahrscheinlich einen praktischen Zweck hatte, möglicherweise beim Bau von Palästen und Tempeln, beim Bau von Kanälen oder bei der Vermessung von Feldern.

„Mit dieser neuen Tafel können wir zum ersten Mal sehen, warum sie sich für Geometrie interessierten: um präzise Landgrenzen festzulegen“, sagt Dr. Mansfield.

„Sie stammt aus einer Zeit, in der Land allmählich privat wurde – die Menschen fingen an, über Land im Sinne von ‚mein Land und dein Land‘ nachzudenken und wollten eine genaue Grenze festlegen, um gute nachbarschaftliche Beziehungen zu haben. Und das ist es, was diese Tafel sofort zeigt. Ein Feld wird geteilt, und es werden neue Grenzen gezogen.

Auf anderen Tafeln aus dieser Zeit sind sogar Hinweise auf die Geschichten hinter diesen Grenzen versteckt.

„Eine andere Tafel bezieht sich auf einen Streit zwischen Sin-bel-apli – einer prominenten Person, die auf vielen Tafeln, darunter Si.427, erwähnt wird – und einer wohlhabenden Landbesitzerin“, sagt Dr. Mansfield.

Nach einer Pressemeldung der UNSW Sydney.

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