Künstliche Intelligenz lüftet Rätsel um Schriftrollen

Künstliche Intelligenz ermöglichen es Forschern, antiken Schreibern die ‚Hand zu schütteln‘.

Künstliche Intelligenz half dabei den Schreiber der Jesaja-Rolle zu identifizieren. Sie ist eine der sieben Schriftrollen vom Toten Meer), die 1947 in den Qumran-Höhlen in Israel gefunden wurden.
Jesaja-Rolle, oder Große Jesaja-Rolle (eine der sieben Schriftrollen vom Toten Meer), die 1947 in den Qumran-Höhlen in Israel gefunden wurden. Credit: akg-images.

Vor etwa siebzig Jahren entdeckten Forschende die Schriftrollen vom Toten Meer. Inzwischen sind diese berühmt dafür, dass sie die ältesten Manuskripte der hebräischen Bibel (Altes Testament) und viele bisher unbekannte antike jüdische Texte enthalten. Doch die einzelnen Personen, die hinter den Schriftrollen stehen, haben sich den Wissenschaftlern entzogen, denn die Schreiber sind anonym. Forschende der Universität Groningen knackten nun den Code, der es ihnen ermöglicht, die Schreiber hinter den Schriftrollen zu entdecken. Dies gelang durch die Kombination von Techniken der Natur- und Geisteswissenschaften.

Kombination aus Geistes-und Naturwissenschaften

Die Schreiber der Schriftrollen haben ihre Arbeit nicht signiert. Die Wissenschaftler vermuteten, dass einige Manuskripte aufgrund der Handschrift einem einzelnen Schreiber zugeschrieben werden sollten. „Sie würden versuchen, eine „smoking gun“ in der Handschrift zu finden. Beispielsweise ein sehr spezifisches Merkmal in einem Brief, das einen Schreiber identifizieren würde“, erklärt Mladen Popović. Er ist Professor für Hebräische Bibel und Antikes Judentum an der Fakultät für Theologie und Religionswissenschaften an der Universität Groningen. Er ist auch Direktor des Qumran-Instituts der Universität. Dieses widmet sich dem Studium der Schriftrollen vom Toten Meer. Allerdings sind diese Identifizierungen etwas subjektiv und oft heiß umstritten.

Neben Popović beteiligte sich sein Kollege Lambert Schomaker an dem Projekt „The Hands that Wrote the Bible“. Schomaker arbeitet seit langem an Techniken, die es Computern ermöglichen, Handschriften zu lesen, oft aus historischem Material. Er führte auch Studien durch, um zu untersuchen, wie bspw. die Art und Weise, wie jemand einen Stift hält, die Handschrift beeinflussen.

Die Forscher konzentrierten sich mit dem Doktoranden Maruf Dhali auf eine Schriftrolle im Besonderen: die berühmte Große Jesaja-Rolle (1QIsaa). Die Handschrift in dieser Schriftrolle scheint nahezu einheitlich zu sein. Dennoch wurde vermutet, dass sie von zwei Schreibern angefertigt wurde, die einen ähnlichen Schreibstil hatten. Wie konnte dies also entschieden werden? Schomaker: „Diese Schriftrolle enthält den Buchstaben aleph, oder „a“, mindestens fünftausendmal. Es ist unmöglich, sie alle nur mit dem Auge zu vergleichen.‘ Computer sind gut geeignet, um große Datenmengen, wie 5.000 handgeschriebene a’s, zu analysieren. Die digitale Bildverarbeitung ermöglicht alle Arten von Computerberechnungen auf der Mikroebene von Zeichen. Beispielsweise das Messen von Krümmungen (genannt Textur) sowie von ganzen Zeichen (genannt Allographie).

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Leben am Toten Meer

Das Tote Meer ist nicht nur der niedrigste Punkt der Erde, sondern konfrontiert Menschen auch mit einer lebensfeindlichen Umgebung. Und dennoch – über viele Jahrtausende hinweg ließen sich Menschen hier nieder, bauten Siedlungen, Festungen und Kultstätten. Sie nutzten die natürlichen Höhlen über Jahrhunderte als Zufluchtsorte und hinterließen dort Alltags-, aber auch Wertgegenstände.Orte wie Jericho, Teleilat Ghassul, Bab edh-Drah, Qumran und Masada sind weltberühmt.

Neuronales Netzwerk

Das menschliche Auge ist erstaunlich und berücksichtigt vermutlich auch diese Ebenen. So können Experten die Hände verschiedener Autoren „sehen“, aber diese Entscheidung wird oft nicht in einem transparenten Prozess getroffen‘, sagt Popović. ‚Außerdem ist es für diese Experten praktisch unmöglich, die großen Datenmengen zu verarbeiten, die die Schriftrollen liefern.‘ Deshalb sind ihre Ergebnisse oft nicht schlüssig.

Die erste Hürde bestand darin, die Künstliche Intelligenz zu trainieren, der den Text (Tinte) von seinem Hintergrund (dem Leder oder dem Papyrus) trennt. Für diese Trennung, oder ‚Binarisierung‘, entwickelte Dhali ein hochmodernes künstliches neuronales Netz, das mit Deep Learning trainiert werden kann. Dieses neuronale Netzwerk hält die ursprünglichen Tintenspuren des Schreibers intakt, wie sie auf den digitalen Bildern erscheinen. Das ist wichtig, weil die alten Tuschespuren direkt mit der Muskelbewegung einer Person zusammenhängen und personenspezifisch sind“, erklärt Schomaker.

Künstliche Intelligenz hilft bei Entdeckung von Ähnlichkeiten

Dhali führte den ersten analytischen Test dieser Studie durch. Seine Analyse der texturellen und allographischen Merkmale zeigte, dass die 54 Textspalten der Großen Jesaja-Rolle in zwei verschiedene Gruppen fallen. Diese sind nicht zufällig über die Schriftrolle verteilt, sondern sich häufen, mit einem Übergang etwa in der Mitte.

Mit der Bemerkung, dass es mehr als einen Schreiber geben könnte, übergab Dhali die Daten dann an Schomaker, der daraufhin die Ähnlichkeiten zwischen den Kolumnen neu berechnete, nun unter Verwendung der Muster der Buchstabenfragmente. Dieser zweite Analyseschritt bestätigte das Vorhandensein von zwei verschiedenen. Es wurden mehrere weitere Überprüfungen und Kontrollen durchgeführt. Schomaker: „Als wir zusätzliches Rauschen zu den Daten hinzufügten, änderte sich das Ergebnis nicht. Es gelang uns auch zu zeigen, dass der zweite Schreiber mehr Variation innerhalb seiner Schrift zeigt als der erste, obwohl ihre Schrift sehr ähnlich ist.‘

Im dritten Schritt haben Popović, Dhali und Schomaker eine visuelle Analyse erstellt. Sie erstellten ‚Heatmaps‘, die alle Varianten eines Zeichens in der gesamten Schriftrolle enthalten. Dann erstellten sie eine gemittelte Version dieses Zeichens für die ersten 27 Spalten und die letzten 27 Spalten. Vergleicht man diese beiden Durchschnittsbuchstaben mit dem Auge, zeigt sich, dass sie unterschiedlich sind. Dies verbindet die computergestützte und statistische Analyse mit der menschlichen Interpretation der Daten durch Annäherung, da die Heatmaps weder von der primären noch von der sekundären Analyse abhängig sind.

Bestimmte Aspekte der Schriftrolle und die Positionierung des Textes hatten einige Gelehrte zu der Vermutung veranlasst, dass nach Spalte 27 ein neuer Schreiber begonnen hatte, aber dies wurde nicht allgemein akzeptiert. Popović: „Jetzt können wir dies mit einer quantitativen Analyse der Handschrift sowie mit robusten statistischen Analysen bestätigen. Anstatt sich auf mehr oder weniger impressionistische Hinweise zu stützen, können wir mit intelligenter Hilfe des Computers zeigen, dass die Trennung statistisch signifikant ist.

Neues Fenster

Zusätzlich zur Veränderung der Paläographie der Schriftrollen eröffnet diese Studie der Großen Jesaja-Rolle einen völlig neuen Weg zur Analyse von antiken Texte auf der Grundlage physikalischer Merkmale. Jetzt können die Forscher auf die Mikroebene der einzelnen Schreiber zugreifen. Und so genau beobachten, wie sie an diesen Manuskripten gearbeitet haben.

Popović: „Es ist sehr aufregend, das Künstliche Intelligenz uns ein neues Fenster zur antiken Welt geöffnet hat. So können wir viel kompliziertere Verbindungen zwischen den Schreibern, die die Schriftrollen produzierten, aufdecken. In dieser Studie fanden wir Hinweise auf einen sehr ähnlichen Schreibstil der beiden Schreiber der Großen Jesaja-Rolle, was auf eine gemeinsame Ausbildung oder Herkunft schließen lässt. Unser nächster Schritt ist es, andere Schriftrollen zu untersuchen, bei denen wir möglicherweise unterschiedliche Ursprünge oder Ausbildungen der Schreiber finden.‘

Auf diese Weise wird es möglich sein, mehr über die Gemeinschaften zu erfahren, die die Schriftrollen vom Toten Meer produzierten. ‚Wir sind jetzt in der Lage, verschiedene Schreiber zu identifizieren‘, schließt Popović. Ihre Namen werden wir nie erfahren. Aber nach siebzig Jahren des Studiums fühlt es sich so an, als ob wir ihnen durch ihre Handschrift endlich die Hand schütteln können.‘

Nach Pressemitteilung der University of Groningen

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