Antike Kunst zeigt ausgestorbene Gans

Als ein Forscher der University of Queensland letztes Jahr ein 4600 Jahre altes ägyptisches Gemälde untersuchte, fiel ihm eine gesprenkelte Gans ins Auge.

UQ-Wissenschaftler Dr. Anthony Romilio sagte, der seltsame, aber schöne Vogel sei ganz anders als moderne Rothalsgänse (Branta ruficollis), mit ausgeprägten, kräftigen Farben und Mustern auf seinem Körper, Gesicht, Brust, Flügeln und Beinen.

„Das Gemälde „Gänse von Meidum“ wurde seit seiner Entdeckung in den 1800er Jahren bewundert und als „Ägyptens Mona Lisa“ beschrieben“, sagte er. Offensichtlich war niemandem klar, dass es eine unbekannte Spezies darstellte.

„Künstlerische Freiheit könnte die Unterschiede zu modernen Gänsen erklären, aber Kunstwerke von dieser Stätte haben extrem realistische Darstellungen von anderen Vögeln und Säugetieren.“ Dr. Romilio sagte, dass keine Knochen von modernen Rothalsgänsen (Branta ruficollis) an irgendeiner ägyptischen archäologischen Stätte gefunden worden seien.

Das Gemälde "Meidum-Gänse" zeigt zwei Gänsearten:
Im oberen Register sind drei Gänse zu sehen, die Wildgänsen ähneln, während im unteren Register ebenfalls eine solche Gans zu sehen ist sowie die im Text angesprochenen gesprenkelten Gänse.
„Gänse von Meidum“, Kapelle der Itet, Mastaba des Nefermaats und der Itet (4. Dynastie), Meidum, Ägypten (Bild: C.K. Wilkinson). 

„Kurioserweise wurden Knochen eines ähnlichen, aber nicht identischen Vogels auf Kreta gefunden“, sagte er. „Aus zoologischer Sicht ist das ägyptische Kunstwerk die einzige Dokumentation dieser markant gemusterten Gans, die nun weltweit ausgestorben zu sein scheint.“

Dr. Romilio sagte, dass ausgestorbene Tiere schon früher in der antiken Kunst identifiziert worden waren, aber nicht alle Arten waren wissenschaftlich bestätigt worden. „Ich habe die Tobias-Kriterien auf die Gans angewendet, zusammen mit anderen Gänsearten auf dem Fresko“, sagte er. „Dies ist eine hocheffektive Methode zur Identifizierung von Arten – unter Verwendung quantitativer Messungen von Schlüsselmerkmalen der Vögel – und erhöht den Wert der Informationen für die zoologische und ökologische Wissenschaft erheblich.“

Dr. Romilio sagte, Ägypten sei nicht immer überwiegend Wüste gewesen und habe „eine biodiverse Geschichte, die reich an ausgestorbenen Arten ist“. „Seine antike Kultur entstand, als die Sahara grün und mit Grasland, Seen und Wäldern bedeckt war, in denen es von verschiedenen Tieren wimmelte, von denen viele in Gräbern und Tempeln abgebildet wurden“, sagte er.

„Bis jetzt hat die Wissenschaft die Identität von relativ wenigen dieser Arten bestätigt.“

Dr. Romilio sagte, das von ihm untersuchte Kunstwerk stamme aus dem Grab von Nefermaat und Itet in Meidum und befinde sich jetzt im Ägyptischen Antiquitätenmuseum in Kairo. „Kunst bietet einen kulturellen Einblick, aber auch eine wertvolle, grafische Aufzeichnung von heute unbekannten Tieren“, sagte er. „Dazu gehören der Vorgänger des modernen Rindes, der Auerochse (Bos primigenius), und bisher unbekannte Formen von Gazelle, Oryx, Antilope und Esel. Diese alten Tierdarstellungen helfen uns, die Artenvielfalt zu erkennen, die vor Tausenden von Jahren mit dem Menschen koexistierte. Sie erinnern auch an den Einfluss des Menschen auf das Überleben von Arten, die heute bei uns sind.“

Vergleich der unbekannten Gänseart auf dem alt-ägyptischen Gemälde mit einer Rothalsgans.
Die unbekannte Gans besitzt einen weißen Hals, der nur im Kopfbereich einen roten Streifen (vom Auge zum Hals verlaufend) und einen schwarzen Streifen unterhalb des Auges aufweist. Auf ihrer Brust sind ebenfalls rote Federn zu sehen, die eine kreisförmige Anordnung aufweisen. Ihre Flügel bestehen aus grauen Federn, während der Bauch und die Schwanzfedern schwarz sind.
Die Rothalsgans weist im Gegensatz dazu einen fast komplett roten Hals auf.
Links: Antike Gänsedarstellung (Foto: C.K. Wilkinson). Rechts: Rekonstruktion der Gans und Vergleich mit der Rothalsgans (©: A. Romilio).

Dr. Romilio sagte, dass unzählige Arten mit Farbmarkierungen, die nicht mit denen moderner Tiere übereinstimmen, in A Guide to Extinct Animals of Ancient Egypt beschrieben wurden.

| Nach einer Pressemeldung der Universität von Queensland

Die Forschung wurde im Journal of Archaeological Science veröffentlicht.


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