Eine archäologische Studie auf der Îlet à Guillaume

Nach der 3D-Kartierung des Geländes der Îlet à Guillaume im Jahr 2019 startete das Departement der Insel La Réunion im Oktober 2020 eine archäologische und historische Studie, um das ehemalige Kindergefängnis von Îlet à Guillaume, das seit 2008 unter Denkmalschutz steht, zu dokumentieren. Ohne die Stätte zu beeinträchtigen, sind die Ziele dieses Projekts die Kenntnis, die Erhaltung und die Aufwertung der Überreste unter dem Gesichtspunkt des Kulturerbes, der Kultur, der Bildung und des Tourismus.

Gebäudestudien, einem Topographen und Photogrammetristen sowie einem Archäobotaniker gewonnenen Erkenntnisse bilden die wissenschaftliche Grundlage für ein Projekt zur Aufwertung der Stätte für die Allgemeinheit. Das Département der Insel La Réunion wird von der Direction des affaires culturelles (Dac; z. dt.: Abteilung für kulturelle Angelegenheiten) der Insel La Réunion als wissenschaftlicher Partner unterstützt, mit finanzieller Förderung durch FEADER. Sie hat Inrap mit der Durchführung der Studien beauftragt.

Eine Strafkolonie aus dem 19. Jahrhundert

Auf dem Plateau der Îlet à Guillaume befinden sich die Überreste eines Zuchthauses für Kinder, das von 1864 bis 1879 betrieben wurde. Dieses isolierte Plateau von 5 ha, das sich auf einer Höhe von 700 m befindet, war möglicherweise ein vorher unbewohnter Ort, der im 19. Jh. besiedelt wurde.

Fotografie der Trockensteinmauern und von Erdarbeiten auf der Îlet à Guillaume, die von den Kindern ausgeführt wurden.
Trockensteinmauern und Erdarbeiten (© Thierry Cornec, Inrap).

Die Einrichtung des Zuchthauses ist das Werk der Missionare der Congrégation du Saint‑Esprit. Sie leiteten dann das Leprosarium von Saint-Bernard und die Domaine de La Providence, Standort des ersten Zuchthauses für Kinder. Unter der Aufsicht der Spiritaner bauten Häuser, eine Kapelle, Werkstätten, Terrassen und landwirtschaftliche Einfriedungen für bis zu 180 Kinder. Sie erweiterten den Zugang des sog. „Fensters“, von wo aus die Überreste der Hütte von Bruder Alexandre zu sehen sind. Als Verantwortlicher für einen Teil des „Straßenabschnitts“ bot der Bruder dort Reisenden einen Zwischenstopp an und konnte geflüchteten Kindern den Weg abschneiden.

Im Zuchthaus bauten die Kinder an, ernteten, versorgten die Hoftiere, arbeiteten in der Schmiede oder im Sägewerk. Die übermäßig schwierigen Lebensbedingungen, die von den Spiritanern auferlegt und selten angeprangert wurden, trugen zu den Spannungen zwischen der klerikalen Welt und der nun säkularen und republikanischen Kolonie bei und beschleunigten den Niedergang des Zuchthauses. Seine Schließung, die 1871 beschlossen wurde, war 1879 endgültig.

Danach wurde der Îlet vorübergehend besiedelt, bevor er bis zu den Plantagenarbeiten des Nationalen Forstamtes zwischen den 1950er und 1970er Jahren aufgegeben wurde. Die heutige Landschaft spiegelt diese unterschiedlichen Entwicklungsphasen wider.

Eine neue Studie der Überreste

Die Studie wurde unter der Federführung des Ministeriums durchgeführt und hat den Anspruch, vollständig zu sein. Basierend auf einer neuen Lektüre nationaler und lokaler Archive wird die Geschichte des Zuchthauses durch die Besonderheiten der Kolonie, aber auch im Hinblick auf die Geschichte der Jugendgerichtsbarkeit im 19. Jahrhundert betrachtet.

Fotografie: Blick auf die Îlet à Guillaume auf der französischen Übersee-Insel La Réunion.
Blick auf den Îlet à Guillaume vom Colorado Trail aus (Foto: © Marie Lacoste).

Die Mauerreste werden Gegenstand detaillierter Untersuchungen sein, die auf einer Kartierung basieren, die durch die Analyse einer vom Ministerium in Auftrag gegebenen LiDAR (Light Detection & Ranging)-Vermessung gewonnen wurde.

Die Flora des Plateaus wird dokumentiert, um neue Vegetation (die sich in einer geschützten Umgebung entwickelte) zu entdecken. Diese archäologischen und umweltbezogenen Studien werden zur Interpretation beitragen und ein neues Bild der Arbeiten, Bauten und Anpflanzungen, während der Zeit des Zuchthauses, aber vielleicht auch vor seiner Einrichtung und seit seiner Aufgabe geben.

| Nach einer Pressemeldung des Inrap


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