Wildvögel für die Götter

Neue Erkenntnisse zu ägyptischen Tiermumien

Millionen von Ibis- und Raubvogelmumien, die den ägyptischen Göttern Horus, Ra oder Thoth geopfert wurden, sind in den Nekropolen des Niltals entdeckt worden. Eine solche Menge an mumifizierten Vögeln wirft die Frage nach ihrer Herkunft auf: Wurden sie wie Katzen gezüchtet oder wurden sie gefangen bzw, gejagt? Wissenschaftler des CNRS, der Université Claude Bernard Lyon 1 und des C2RMF1 haben umfangreiche geochemische Analysen an Mumien aus dem Musée des Confluences, Lyon, durchgeführt. Gemäß ihren Ergebnissen, die am 22. September 2020 in der Zeitschrift Scientific Reports veröffentlicht wurden, handelte es sich um Wildvögel.

Ibismumie aus der Sammlung des Musée des Confluences, Lyon. © Romain Amiot / LGL-TPE / CNRS

Säugetiere, Reptilien, Vögel: Die zig Millionen Tiermumien, die als Opfergaben in den Nekropolen des Niltals deponiert wurden, zeugen von einem intensiven religiösen Eifer und von den Praktiken des Haltens und Präparierens von Tieren, die vom Alten Reich (3. Jahrtausend v. Chr.) bis zum römischen Ägypten (1. bis 3. Jh. n. Chr.) zweifellos erheblich zur Wirtschaft beigetragen haben. Die Herkunft dieser Tiere und die Methoden der Versorgung bleiben jedoch unbekannt. Für einige gezähmte Tierarten, wie z.B. die Katze, war die Zucht wahrscheinlich die effizienteste Methode, um eine große Anzahl von Tieren für die Mumifizierung bereitzustellen. Aber im Gegensatz zu Katzen decken Vogelmumien alle Entwicklungsstadien ab, vom Ei bis zum Erwachsenen, was auf andere Beschaffungspraktiken hindeuten könnte.

Proben werden entnommen. © Romain Amiot / LGL-TPE / CNRS

Um die Herkunft – Zucht oder Jagd – der mumifizierten Vögel zu bestimmen, wurden winzige Fragmente von Federn, Knochen und Einbalsamierungsstreifen von 20 Ibis- und Raubvogelmumien aus den Sammlungen des Musée des Confluences in Lyon entnommen. Wären diese wild ziehenden Vögel gezüchtet worden, wäre ihre Nahrung homogen, von lokaler Herkunft und in einer einheitlichen Isotopenzusammensetzung der tierischen Überreste widergespiegelt worden, unabhängig davon, ob diese Nahrung spezifisch hergestellt oder von der regulären Nahrung der Menschen genommen wurde.

Die verschiedenen Gewebe wurden daher mit Hilfe der C-14-Methode datiert, und die Isotopenzusammensetzungen von Sauerstoff, Kohlenstoff, Stickstoff, Schwefel und Strontium wurden gemessen, im Hinblick auf die Nahrungsquellen interpretiert und mit denen von gleichzeitig lebenden menschlichen Mumien verglichen. Weit davon entfernt homogen zu sein, zeigten diese Isotopenzusammensetzungen eine hohe Variabilität und „exotische“ Signaturen im Vergleich zu denen der altägyptischen Menschen: D.h. die Vögel waren wild und wanderten saisonal aus dem Niltal heraus in andere Gegenden.

Diese Ergebnisse, kombiniert mit den Erkenntnissen einer genetischen Studie, die von einem anderen Team durchgeführt wurde, legen die Massenjagd und den Fang von Vögeln nahe, wie sie auf bestimmten Grabfresken dokumentiert sind (z.B. an der Wand des Grabs von Nacht in der thebanischen Nekropole). Tatsächlich übten die Ägypter wahrscheinlich lange vor dem heute beobachteten Rückgang der Vogelwelt einen erheblichen ökologischen Druck auf die Wildvogelpopulationen aus.



Pressemeldung des CNRS, CNRS researcher Romain Amiot l romain.amiot@univ-lyon1.fr

Passend zum Beitrag:

Tiere hatten in der Weltanschauung der alten Ägypter eine ungewöhnliche Position inne. Sie galten wie die Menschen als fühlende Wesen, aber zugleich als fremdartig und mit besonderen Gaben und Fähigkeiten ausgestattet. Tiere besaßen wie Menschen und Götter eine Seele, insofern ist es nicht weiter verwunderlich, dass sie wie Menschen mumifiziert wurden. Anders als bei den menschlichen Mumien gab es bei den Tieren jedoch viele verschiedene Arten von Mumien, die sich in sechs verschiedene Kategorien einordnen lassen. Mit diesen Mumien und den ägyptischen Tierkulten möchten wir uns im Titelthema der ANTIKEN WELT beschäftigen und neueste Forschungsergebnisse deutscher und internationaler Ägyptologen vorstellen.