wild wor(l)ds – wilde archäologien

Das 20. Jh. war archäologisch: Materialisiertes Denken statt Historisches.

Statt antiker Welt in der ANTIKEN WELT das Ende geschichtlichen Denkens im 20. Jh. Es wird gegraben im Ich (Freud), der Zeitstimmung (Benjamin), im Wissen (Foucault), den Medien (Kittler) und grundlegend dafür in der Vernunft (Kant). Die «wilden archäologien» begeistern sich für intellektuelle Ausgrabungsarbeiten, die diese Denker zu Tage brachten und philosophisch-geisteswissenschaftliches Denken teils bis heute fundieren.

In sonnengelben Leinen, ist es ein schönes Buch. Mit 750 Seiten ist es selbst Rudiment jener Materialisierung des Denkens, die zur Debatte steht. Die entwickelten Denkwelten sind exklusiv, die exaltierte Sprache überrascht gern mit brillant gefassten Sätzen. Ein seitenstarker Folgeband bringt das Ganze auf den Begriff. Die These des Buches: Archäologie löst Geschichte ab.

Wegen der Materialität. Historisches Denken endet mit Zugängen wilder Archäologen. Aus Sicht der Rezensentin ein spannendes Denkvehikel, um aus robotischen Zeiten bspw. das Verhältnis Mensch und seine körperexternen Bedingungen, wie Bücher oder Computer, rückblickend zu verstehen. Das Ende geschichtlichen Denkens versteht sich als Materialisierung des Denkens mit der Theoriebildung dieser Denker, den «Avantgarden». Das 18.−21. Jh. spannt den Deutungsraum, in dem Verdinglichung die Welt prägt. Die Industrialisierung westlichen Seins ab Mitte/Ende 18. Jhs. (Kants Denkzeit) bevölkerte jeden Winkel des Lebens mit Materialität. Auch Denken ist nun merklich bedingt. Mit der Geologie lag auch die Moderne in Schichten vor, die damals omnipräsente Archäologie formte deren intellektuelle Ausgrabung im 20. Jh. quasi mit. Philosophische, psychoanalytische, gesellschafts- und medientheoretische Buddeleien sowie Alte Welt-Archäologien hatten den Bezug auf Materialität gemeinsam: Materialität tauschte historisches Denken mit materialisierter Zeitlichkeitsauffassung im 20. Jh. ein. Historisches Denken wird abgelöst vom Denken unserer Bedingungen und ihrer Möglichkeiten (Kant), der Zeitkonserven (Freund, Benjamin), der Verfahren (Foucault, Kittler). Genau dies Denken bedeutet Knut Ebeling als archäologisch-materialisiert. Die Avantgarden «verworten» Archäologie oder Urgeschichte. Kant, der Prolog der «wilden archäologien» (143−253), bspw. auf einer Notiz als «philosophische Archäologie». Der «Diskursbegründer» Freud (254−361) transformierte Archäologie in ein Verfahren zur Beschreibung der Seele vermittels auf der Materialität fußenden «klassischen Archäologie» (Altertumswissenschaft). Benjamin dann (362−511), konstellierte Archäologie in eine antiakademische Urgeschichte der Moderne, Foucault in Diskurswelten (512−663) und Kittler, der Nekrolog (664−730), wendet Archäologie Richtung der Materialität der Informierung der Worte in «technische Medien». Bei all dem verlagerte das 20. Jh. mittels «archäologischer Avantgarden» philosophische Denkbewegungen ins Innen des Menschen (beispielsweise Träume, persönliche Vergangenheiten, Formierungen des Wissens in Denkprozessen) und ins Außen ganzer Epochen, ihrer Bedingungen (z.B. in Kittlers Komputer). Diese Leute pfeifen auf die alte Form der Geschichte (Datum, Name, Zahl, Linie etc.) in ihrer narrativen Üblichkeit, ihre Unsichtbarkeit. Sie schufen ein Denken, das materialisiert ist wie das Maschinenzeitalter daselbst. Das Buch erzählt den Moment, als all dies geschieht. Mit Begriffspaaren wie das Verborgene/Entborgene, Sichtbar/Unsichtbar, Positiv/Negativ oder Vorträglichkeit/Nachträglichkeit entsteht zwischen Disziplin und Diskurs das Archäologische (Diskurs: Avantgarden, Freud & Co.) am Archäologischen (Disziplin: Altertumsforschung, Schliemann & Co.).

Aus dem Umfang, einige Tonlagen, die diese Besprechung im Blick auf die ANTIKE WELT herauspickt. Die Einleitung (9−142) fragt auf S.78 nach dem Standpunkt des Buches. Der arbeitet sich ihrer Mitte heraus. Wir folgen Variationen von Denkbewegungen, driften ins Außen und Innen, in Interiorität und Exteriorität, Vor- und Nachträglichkeit und nehmen das Unbewusste der Archäologisierung des Denkens mit in die Ausgrabung des Themas, das auf S.96 nicht in einen monographischen Abgrund stürzen mag. Wie die archäologischen Avantgarden fassen, schimmert nur hier und da das Archäologische der Materialitäten, Grabungen, Schichten durch: «Wie soll man diesen Schimmer beschreiben?» (98) Das Problem für den Spagat zwischen Disziplin und Diskurs probenden Autor ist, «dass die klassische Archäologie (außer vielleicht im Fall Freud) zwar nicht unmittelbar an den Theoriebildungen der archäologischen Avantgarden beteiligt war, ihre Prägungen und Abdrücke jedoch unverkennbar vorhanden sind.» (98) Für altertumswissenschaftliche Archäologinnen ist u.a. die Terminologie fordernd. Die durchweg mit kleinem k gemeinte Klassische Archäologie meint altertumswissenschaftliche Archäologien, teils auch avantgardistische Archäologien. Das irrlichtert durch das Buch. Oder, «Ästhetik» (112) ist entscheidend im Feld der Haupthese Archäologisierung des Denkens von geschichtlichen zu materiellen Zeitlichkeiten, von Disziplin zu Diskurs, sie bleibt vage ein Typus philosophischen Denkens. Das wäre für Denkverschränkungen mit der klassischen Archäologie mit K wichtig, die von ästhetischen Diskursen teils anderen Typs geformt wurde/wird. Auch sonst: wo das Thema öffnet, bleibt es exklusiv. So setzten die archäologischen Avantgarden die Ästhetik in jene Entwerkung, die Blanchot und Mallarmé beschrieben hatten – kein Verweis, wer nicht drin steckt: keine Chance (111). Die Zuweisungen: sind für mich Klassische Archäologie und Co. Geisteswissenschaften, sind sie es hier nicht (116). Was ist Geschichte, hier eine Textwissenschaft, wie sie das 21. Jh. kaum trägt, reicht das? Kernkonzepte, die den gesamten Deutungskörper tragen, könnten im Buchsinne klarer sein. Letztlich passt es, die Brüche im Denken können anregen. Damit wird das Buch eine gelungene Erinnerung an Denkbewegungen des 20. Jhs. Dabei, scheint’s, möchte der Autor dem bewunderten Klassischen Archäologen Detlef Rößler nachträglich eine Archäologie der Archäologie schenken (anders als Altertums-Archäologinnen, die oft umgekehrt zu hiesigen Weg, z.B. qua Diskursanalyse, Fachverstehen ersuchen). Denk-Archäologien werden mittels Alter Welt-Archäologien «entborgen»: es gilt, «verborgene» Diskursstrukturen durch zugänglichere Disziplinverfahren «aufzudecken». Ebeling betont, nicht psychologisierend vorzugehen «keine psycho- oder diskursanalytische Archäologie soll betrieben werden» (138). Nun, der Berliner Referenzrahmen, Bezugssysteme wie Fußnoten, Bibliographie sind wichtig. Der Subtext Fußnoten datiert Denkstil und Deutungswelt v.a. in die 1990er – Anfang Nuller Jahre. Auch das: spannend, nicht wild, ein schönes Zeitdokument.

Kant ist «Stichwortgeber». Sein Grund für eine «philosophische Archäologie» ist die zeitliche Begrenzung von Geschichte, überhaupt die Frage der Historizität des kritischen Projekts (Kritik der reinen Vernunft etc.). Der Grund des Kant-Kapitels ist die Verbindung zu Foucault. So ist nachvollziehbar, warum Kant und nicht etwa Leibniz, der auch gut zum Archäologen argumentierbar wäre. Kant macht sich an die Rekonstruktion der Apriori. Er fragt nach der Historizität seines, kritischen, Lebensprojektes. Was sind, rückblickend für Kant, die Grenzen der Vernunft? Das Archäologische ist das Verfahren, Vernunft zu untersuchen – die Rekonstruktion. Kant hinterfragt so alternativ zur klassischen Philosophiegeschichte. Er deckt auf. Z. Bsp. «Fortschritt». Während im Hintergrund die fortschreitende Industrialisierung mit der Materialisierung des Denkens einhergeht, sagt Kant: Fortschritt macht keinen Sinn für die Rekonstruktion der Metaphysik, Fortschritt ist zeitlich gerichtet. Eher ein Sprung kommt in Frage, Ursprünge liegen ausserhalb jeder Zeit. Nicht aber Geschichte, die auf Kontinuitäten baut. Die Bewegung der Metaphysik ist kein Fortschreiten und funktioniert nicht in solchen Zeitordnungen, sondern ausserhalb. Die Archäologie der Natur – Kant, sehr erfahren im Denken großer Zeithorizonte, etwa durch Himmelskörper ­– war diskontinuierlich. In seiner Vorstellung berührte Archäologie einen Zustand außerhalb der Geschichte. Außerhalb historischer Überlieferung heißt hier, Archäologie basiert nicht auf sinnlicher Anschauung. So ließe sich in den «unsichtbaren rationalen Anfangsgründen» (182) graben. Die Jungs der Folgejahrhunderte Freund, Foucault, Benjamin und Kittler bauten bestens darauf auf.

Von der Vernunft zur Seele sind die Wege mal kurz, mal lang. Im Fall «wilder archäologien» über ein Jahrhundert. Während Kants Metaphysik statt im Außenraum der Geschichte im Innenraum der Vernunft spielt, tritt der Diskursbegründer Freud «konkret» mit der Materialität der Seele auf, dem Innenraum per se. Die Topographie der Seele, Freuds Antikenbesessenheit und «Schicht» als eine Leitmetapher jener Zeit verlocken Knut Ebeling zu Analogien von Antikenarchäologie – wilde Archäologie. Oft parallelisiert dieses Muster Begründungszusammenhänge: «Die Hacken, Schaufeln und Spaten wurden ebenso wie in den Boden Kleinasiens bald auch in die Psyche hysterischer Patientinnen versenkt.» (279); «Ebenso wie die Trümmer aus der lykischen Landschaft herausragten, ragte aus Freuds Anschnitt in der Ätiologie der Hysterie die Rolle der Inschriften heraus.» (285); «Freud hatte seine Träume beim Erwachen in einer Unleserlichkeit wieder gefunden, die der Verwitterung entsprach, die auch die im Land Apollos gefundenen Inschriften aufwiesen.» (287). Es gibt andere Passagen, doch auf Dauer (und das Buch ist Dauer) wirken diese Konstruktionen wie eine Turnübung in Sprachbildern, mit Ziel (das erste Freund-Kapitel heißt: Zwang zur Antike), die Struktur der Wiederholung selbst aufs Expliziteste anzuwenden. Einfacher, wäre der gesamte Text leichter an freudianischen Tendenzen. Seite 100 beantwortet die Frage, worum es im Buch geht, so: «um die Analyse von nichtkausalen Verbindungen, die sich trotz der Ferne und entgegen jede Äußerung herstellen – quasi um die Aufdeckung des archäologischen Unbewussten der archäologischen Avantgarden.» Knut Ebelings Aufdeckungsarbeit legt mit Freuds Unbewusstem, Verräumlichung der Seele und überhaupt des 20. Jhs. dar, was in dieser, nur dieser Zeit kommen musste: die Metapher Archäologie, die Hype-Wissenschaft Archäologie. Übertragungsarbeit wurde zum Modell der Seelenerkundung, deren Materialität durch Psychoanalyse entstand. Das Freud-Kapitel beschreibt den Ansatz dafür: «archäologische Steinerkundung» – «psychologische Seelenerkundung». Übertragung von Materialitäten auf Immaterialitäten. Übertagung vom Kant-Kapitel aufs Freud-Kapitel: «Die klassische Archäologie des 19. Jh. muss als historisches Apriori der Psychoanalyse verstanden werden.» (292) und als Einstimmung auf Foucault. «Wenn die Psychoanalyse eine christliche Beichte im modernen Gewand war, hätte es des säkularen archäologischen Modells nicht bedurft …» (302). Die (S)Patendisziplin Archäologie ermöglichte dies: «Freud behandelte Wörter und Gedanken … als Dinge. « (328) – Was bleibt? Der Unterschied. Ebeling: «Konstruiert der Analytiker, während der Archäologe rekonstruiert? (360) Ein schöner Übergang zu Benjamin.

Endlich, auch Länge und Sprache bleiben mit Buchhalbzeit. Viele Wendungen beginnen mit «Kurz: … ». Hier ist aber nichts kurz, auch Benjamins Urgeschichte der Moderne nicht. Diese Materialisierung des Denkens kommt, anders als Kants und Freuds Denkhorizont, ohne archäologische Informationen aus: Den gewaltigen konzeptuellen Umbauarbeiten zur «Bergung oder Rettung» (363) des Jüngstvergangenen, des 19. Jh., war historiographisch nicht beikommen. Benjamins Fixierung auf die Ruinen der Bourgeoise, sein Blick darauf, kurz bevor/während es vorbei ist, wird eine Art Parallelverschiebung von prähistorischen Knochenfunden auf die Skelettierung der Pariser Passagen. Unter dem Staub der Moderne verschwindet die Gegenwart, «auch die elegantesten Pariser Herrschaften, die vom Pferderennen heimkehrten, ‹sind praktisch darunter [unterm Staub] begraben, genau wie die Leute in Pompeji; und sie müssen ausgegraben werden, wenn schon nicht mit der Spitzhacke, so doch immerhin mit der Bürste›» (381). Somit: «So wie die Mode den Ausverkauf, brachte die Moderne die Ausgrabung ihrer selbst mit sich» (382).

Materialisierungen des Denkens werden verdichtet: «War Pompeji durch einen Ascheregen verschüttet worden, so wurde die Realgeschichte von Paris durch einen nicht enden wollenden Bücherregen versiegelt» (382). Tatsächlich wurde die schiere Masse Bücher wesentlich Teil der Materialisierung des Denkens, der Geschichte, der Philosophie – Bewegungen des Geistes wurden ihr eigenes industrialisiertes Produkt. Zudem: «Der erste große Krieg hatte eine Situation produziert, die Historiker reihenweise zu Archäologen mutieren ließ» (389). Die Gegenwart war kaputt, mit ihr u.a. Archive, Benjamin war es. Seine Passagen-Denkschachtel mit tausenden Einzelteilen leuchtet im Exzess der Deutung. Benjamins Charakterisierung mit Karl Schlögel: «Der Theoretiker europäischer Urbanität, angekommen in der Anti-Stadt. Er, der Ruinenspezialist, wäre zum Archäologen der Zukunft geworden […]. Los Angeles hätte ihm, der gerade die Pariser Passagen dechiffriert hätte, neue Rätsel aufgegeben: die Highways, die zentrumlose Stadt, den Körperkult, an den Beaches von Venice und Santa Monica, die spanische Moderne. Er hätte auf dem Broadway die Reise der Erkenntnis fortgesetzt, die er einst mit den Spaziergängen im Berliner Tiergarten begonnen hatte.» (375) Benjamin bedachte aus dem Sehen jenen Moment der Moderne, das Ende ihrer Aktualität, wie ein Blick auf vor Digitalität aus dem Darin-seins während das Davor in Zeitfossilien überall präsent sind. Auch dieses Kapitel mit der Auffassung, dass Geschichte Texte und diese Immaterielles seien, was gleichzeitig z.B. im Kittler-Kapitel analytisch bedacht wird, macht die «wilden archäologien» zu einer Art ironischen Herausforderung, während das Verhältnis Schriftlichkeit – Materialität Archäologie latent bedingt.

Foucault. Personenkult. Das Verhältnis Kant − Foucault («Kants Lektion») wird über Foucaults Dissertation aufgespannt – eine Exegese wie Archäologie herleitbar sein kann. Wie bei Freud (Seele) und Kant (Vernunft) werden immaterielle Objekte, nun Wissen und Diskurs, retrospektiv als Bruch in der Zeitlichkeit deutlich: keine andere Geschichte, eine andere Art von Geschichte. Gefängnisse als Verortung bspw., öffnen in diesem Beginn von sichtbar gemachter Verräumlichung denkerischer Ausgrabungen neue Blicke zum Aufspüren der Strukturen menschlichen Seins. Foucault als Sehräuber der Archive legt ein Augenmerk auf diese Materialisierungen des Denkens. Nicht: was war da, im historischen Denken, sondern wie konnte dies Denken überhaupt sein? Der Übergang vom 18. zum 19. Jh., ein Bezug Kant-Foucault ist aus anthropozänischer Sicht spannend, die – immer mit Kant – angemahnt ist. Denn Foucault zeigt die Grenzen des Menschen auf. Dessen Mechanismen machen Menschsein durch «sichtbare Diskursreste» (640) sezierbar. Archäologie im Sinne des 21. Jhs.: indem Sprache nicht Primat sapientischer Ausdrucksweise ist oder, Archäologie im Sinne des 20. Jhs.: indem Sichtbares neu bedacht und technisch hervorgebracht wurde. Wer also das Denken im Übergang 20./21. Jhd. ausgraben mag, erkennt in den «wilden archäologien» viele Denkstrukturen der Zeit des Wissens, die von Antike bis Digitalität bei allen Wandeln von Begründungszusammenhängen den Denkraum des schriftbasierten bisherigen Uns zusammenhält. Informative Zeitlichkeiten ändern in digitalen Topologien Ideen von Raum: Foucaults «Patenwissenschaft» brachte mit Karthago noch weite topographische Räume in Spiel. Anders als Benjamins Pompeji, schrieb Foucault in der nordafrikanischen Küstenlandschaft seine Archäologie des Wissens, die dortigen Monumente, als räumliches Wissens und überhaupt, Wissen als materielles Objekt, in die Wissensgeschichte ein. Foucaults Rekonstruktion der Konstitution der Wissensgegenstände weist in altertumswissenschaftliche Erkenntnistheorie: Mit oft sichtbaren Resten ehemals aktiver Kulturen plus je zeitgemässe Wissenskonstitution schafft Archäologie aus möglichen längst vergangenen Bedeutungen Wissen. Diese archäologischen Denkbewegungen sind oft Material- oder Medienbewegungen (Scherben zu Topf, Köpfe zu Stilreihen etc.). Im Foucault-Kapitel wäre wunderbar Raum, der Materialisierung des Denkens vermittels Archäologie, diese zwei Wege gegenüberzustellen – gerade für die Grenzverwischung zwischen Geschichte und Philosophie, die ja das sonnengelbe Buch daselbst bedingt.Kittler. Letztes Kapitel. Fast im Jetzt, «kurz»: Kittler nimmt statt «der weiten Wege langatmiger Geistesgeschichten […] den (oft zu) kurzen Weg materialistischer Evidenz» (665). Nix Mediengeschichte, Medienarchäologie! Nix materielles Wissen, Wissen der Materialität! Das Wissen der Archäologie verbirgt seine Herstellung; hier setzt die Medienarchäologie an. «Doch was bildet eigentlich das Verborgene und Verdrängte der Medien? Was ist das Objekt ihrer Archäologie?» (676) Das Kapitel macht die Dynamik von Sichtbarkeit und Verborgenheit auf, möglich wäre auch von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit; Begründungszusammenhänge sind im Gestus der Deutung der zuvor entwickelten «wilder Archäologen» eingehangen. Eine Art Verhärtungstheorie petrifiziert via Mediengeschichte vs. Medienarchäologie die Historisierung des Geistes der Geisteswissenschaften in seiner schrift- und diskursförmigen Gestalt hinein ins Denken von Maschinen und Technik, und lässt so die Denkwelt als Textwelt als Geisteswelt veraltet aussehen – im Denken, nun der Medien selbst. Doch was sind technische Medien? Als Archäologin der Menschheitsgeschichte sind das für die Rezensentin alles, was qua Technik ist. Hier bleibt eine Zuweisung offen; Ebeling setzt mit Kittler technische Medien um 1850 an, der Industrialisierung der Techniken für Schrift, dem Telegraphen; mit jenem Kittler, und so schließt sich der Kreis, der auf Foucaults Analysenende um 1850 verweist. Im Denkraum Materialisierung/Materialität ist das aus antikenarchäologischer Sicht im Rahmen der Materialisierung aus medienphilosophischer/-archäologischer Sicht auch deshalb bemerkenswert, weil gerade jene Archäologien herangezogen werden, die doch wieder auf Schrift im alten historischen Sinne festgemacht werden, des einzig Textuellen. Kittler setzt hier an, klar, auch der weite Deutungshorizont des Buches bleibt darin verhaftet. Das passt zum Gestus schönen Buches, aber zur Gesamtthese der Materialisierung des Denkens im 20. Jh.?

| Undine Stabrey, Basel

Produktdetails

wilde archäologien I. theorien materieller kultur von kant bis kittler

Kurt Ebeling

Kulturverlag Kadmos Berlin 2012/2019, 768 S., 15 x 23 cm, Leinen, €48,00